Hartz IV: Jetzt folgt der Showdown im Bundesrat
Nach dem Ende der Hartz-IV-Kompromisssuche wird der Ton in Berlin schärfer. Die schwarz-gelbe Koalition hofft auf Abweichler in der rot-grünen Front in der Länderkammer. Dort hat die Regierung keine Mehrheit. Die Opposition will ihre Reihen aber geschlossen halten.

Beide Seiten schoben sich am Mittwoch in Berlin gegenseitig die Schuld dafür zu, dass Hartz-IV-Empfänger vorläufig nicht mit einer Erhöhung ihrer Leistungen rechnen können. Union und FDP hätten den Koalitionsfrieden über die Interessen der bedürftigen Menschen gestellt, sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank Walter Steinmeier. Für den Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge hat die Bundesregierung das Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von vorne herein nicht ernstgenommen.

Regierung und Opposition war es auch in der Nacht zum Mittwoch in Berlin nicht gelungen, sich auf eine Neuberechnung der Regelsätze zu einigen, die das Bundesverfassungsgericht verlangt hatte. Nach dem Urteil des Gerichts vom 9. Februar 2010 hätte die Hartz-IV-Reform bereits zum 1. Januar 2011 in Kraft treten müssen. SPD-Parteichef Sigmar Gabriel sprach von einem schwarzen Tag für die politische Kultur in Deutschland. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) habe sich "selten arrogant verhalten". Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe von der Leyen "Prokura gegeben, die Einigung scheitern zu lassen".

"Schäbiger Wahlkampf"

Demgegenüber sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Peter Altmaier (CDU), die Einigung sei "an der Maßlosigkeit der finanziellen Forderungen der SPD" gescheitert. Es seien die Sozialdemokraten und die Grünen, die die Hartz-IV-Empfänger und ihre Kinder jetzt im Stich ließen. Der Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Linken, Gregor Gysi, nannte das Scheitern der Verhandlungen "verantwortungslos". "Da wird ein schäbiger Wahlkampf auf dem Rücken von Millionen Betroffenen geführt", erklärte er. Eine Bundesregierung, die einen verfassungslosen Zustand nicht behebe, verletze ihren Amtseid.

Für den Politologen Butterwegge hätte sich die Bundesregierung nach dem Urteil auf eine transparente und nachvollziehbare Berechnung der Regelsätze konzentrieren sollen. Stattdessen habe sie "alles Mögliche" in den Gesetzentwurf aufgenommen und damit die Verhandlungen überfrachtet. "Die SPD hat als Antwort auch noch einmal draufgesattelt", sagte der Armutsforscher der Universität Köln dem epd.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband rät den Betroffenen, höhere Leistungen notfalls einzuklagen. Da sich die Bundesregierung weigere, ein verfassungskonformes Gesetz vorzulegen, seien jetzt die Gerichte gefordert, erklärte der Wohlfahrtsverband. Das geplante Bildungspaket wäre nach Ansicht des Verbandes sofort umsetzbar, auch ohne eine Einigung zwischen Bund und Ländern. Für den Sprecher der Nationalen Armutskonferenz, Thomas Beyer, hat der Staat bei den Betroffenen viel verspielt. Die Stimmungslage reiche von Wut bis zur Teilnahmslosigkeit. Die verantwortlichen Politiker hätten die Autorität des Bundesverfassungsgerichts untergraben.

EKD-Ratschef bedauert Scheitern

Auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, bedauert das Scheitern der Verhandlungen. Dieser Streit werde auf dem Rücken von Millionen Empfängern ausgetragen, sagte Schneider. Der Respekt vor den Betroffenen sowie vor dem höchsten Gericht gebiete es, endlich zu einem Ergebnis zu kommen. Der Vorsitzende des Erwerbslosen- und Sozialhilfevereins Tacheles, Harald Thomé, rief die Betroffenen zum Protest auf. "Die Menschen sollen endlich auf die Straße gehen und sich gegen die Schweinerei zur Wehr setzen." Der Stillstand sei ein Armutszeugnis für die Bundesregierung.

Diakoniepräsident Johannes Stockmeier nannte es "unverantwortlich, aus dieser existenziellen Frage eine parteipolitische Partie werden zu lassen". Regierung und Opposition müssten "unverzüglich einen Kompromiss" finden. Der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Peter Neher, sagte, dass die Berechnung der Regelsatzhöhe "dringend" nachgebessert werden müsse.

Weitere Beratungen

Regierung und Opposition wollten am Mittwoch über ihre Angebote zur Hartz-IV-Reform im Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag abstimmen lassen. In dem Ausschuss verfügt die Koalition - anders als im Bundesrat - über eine Mehrheit. Über das sogenannte unechte Vermittlungsergebnis sollen dann am Freitag Bundestag und Bundesrat abstimmen. Scheitert die Abstimmung im Bundesrat, müssen Regierung und Opposition erneut verhandeln.

Führende Vertreter von Union und FDP appellierten unterdessen an die Ministerpräsidenten, den Plänen der Koalition am Freitag in der Länderkammer doch noch zuzustimmen. Das von einer schwarz-gelb-grünen Regierung geführte Saarland und eventuell auch das schwarz-rot regierte Sachsen-Anhalt gelten als mögliche Wackelkandidaten. Ausdrücklich nannten Koalitionspolitiker aber auch SPD-geführte Länder.

Die Koalition, SPD und Grüne waren nach siebenwöchigem Ringen in der Nacht ohne Einigung auseinandergegangen. Die Regierung hat im Bundesrat keine Mehrheit, die Zustimmung eines Bundeslandes mit Regierungsbeteiligung von SPD oder Grünen würde aber reichen. Die Fraktionen von SPD und Grünen berieten am Vormittag in Sondersitzungen über das weitere Vorgehen. Spitzenpolitiker aus ihren Reihen erwarten keine Abweichler aus den eigenen Reihen in den Ländern. Die Unionsfraktion wollte am Abend zusammenkommen.

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) appellierte an die Ministerpräsidenten, im Bundesrat zuzustimmen. "Jetzt ist der Tag der Entscheidung gekommen", sagte sie im ZDF. Es habe bei den Verhandlungen Einigkeit gegeben beim Bildungspaket für bedürftige Kinder, bei der finanziellen Entlastung der Kommunen und der Einführung weiterer Mindestlöhne. Nur beim Regelsatz für Hartz-IV-Bezieher habe es keine Einigung gegeben. Die Koalition will den Satz um 5 Euro auf 364 Euro anheben, der SPD reicht das nicht.

SPD-Chef Sigmar Gabriel zeigte sich zuversichtlich, dass es der Regierung nicht gelingen werde, für ihre Pläne ein weiteres Land auf ihre Seite zu ziehen. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sagte, die Regierung habe den Koalitionsfrieden über die Interessen von Familien mit Kindern und Leiharbeitern gestellt. "Wir waren kompromissbereit." SPD-Verhandlungsführerin Manuela Schwesig sagte, ihre Partei habe versprochen, "keine faulen Kompromisse einzugehen. Daran haben wir uns gehalten." Die Grünen hielten der Koalition Tricksereien und schlampige Arbeit vor.

epd/dpa