In Kairo kehrt ein Stück Normalität zurück
Rückgang der Gewalt, erste Gespräche - Reportage vom ersten Tag einer neuen Zeit, zu erleben beim Gottesdienst der deutschsprachigen Gemeinde in Kairo.
06.02.2011
Von Julia Gerlach

Vielen Gemeindemitgliedern ist anzusehen, dass die vergangenen Tage nicht einfach waren. Rund 20 Besucher sind am Sonntag zum evangelischen Gottesdienst der deutschsprachigen Gemeinde in Kairo gekommen. "Ich bin so froh, dass es wieder Gottesdienst gibt und dass es jetzt wieder normal wird", sagt ein Gemeindemitglied. In der vergangenen Woche musste der Gottesdienst in der ägyptischen Hauptstadt ausfallen, denn die evangelische Kirche liegt nur wenige Hundert Meter vom Tahrir-Platz entfernt, der seit fast zwei Wochen Schauplatz von Massendemonstrationen gegen Präsident Hosni Mubarak ist.

"Selten haben sich die Menschen so daran gefreut die hupenden Autos zu hören und die verstopften Straßen dieser Stadt zu sehen", sagt der Theologe Gerald Lauche in seiner Predigt. Der Gottesdienst findet heute in der kleinen Kapelle der Deutschen Evangelischen Oberschule statt. Die Sonne scheint durchs Fenster, Vögel zwitschern und die Gemeinde singt. Von Minute zu Minute entspannen sich die Gesichter der Gottesdienstbesucher.

Kairo am Tag 13 der Revolte: Für viele fühlt sich dieser an wie der erste Tag einer neuen Zeit. Die Banken sind wieder geöffnet, selbst die Filialen der großen Handyanbieter haben ihre Rollläden hochgezogen, und viele Angestellte kehren in die Büros zurück. Das alte Leben kehrt zurück, doch zugleich ist nichts mehr, wie es war.

Angst vor Schüssen

Auf dem Tahrir-Platz halten die Demonstranten durch. Am Samstagabend ergoss sich ein gewaltiger Schauer auf den Platz, große Pfützen bildeten sich dort. Doch die Demonstranten blieben, sie trotzen dem Wetter so, wie sie allem anderen getrotzt haben: den Schlägen der Polizei und dem Tränengas. Der Angst, dass das Militär auf sie schießen könnte. Sie machten auch weiter, als die Regierung Schlägertrupps auf sie hetzte. Ihr Erfolg gab der Beharrlichkeit der Demonstranten recht: Tag für Tag gab das Regime ihnen ein Stück nach - Salamitaktik.

Am Sonntagmorgen wurde auch dem Tahrir-Platz ein Gottesdienst gefeiert. Über knarzende Lautsprecher erschallte das Gebet des koptischen Priesters. Die Messe musste verschoben werden, weil die koptische Kirche offiziell Distanz zur Revolte hält. Doch es fand sich dann doch ein Priester, der bereit war, gegen das Verbot des koptischen Papstes auf den Platz zu kommen.

Christen und Muslime standen beieinander, so wie an den anderen Tagen die Muslime ihr Gebet verrichteten und die Christen eine Menschenkette um sie bildeten, um sie gegen Angriffe zu schützen. Die Jugendrevolte hat in Ägypten auch ein Zeichen gesetzt, was das Zusammenleben von Christen und Muslimen angeht.

Kaum islamistische Parolen

Viele der Jugendlichen, die sich seit dem 25. Januar auf dem Platz versammelten, hatten drei Wochen zuvor T-Shirts getragen mit ineinander verschlungenen Halbmond und Kreuz. Sie hatten nach dem blutigen Anschlag auf die Kirche von Alexandria, bei dem seit der Silvesternacht 24 Menschen starben, den Christen ihre Solidarität bekundet.

Trotz der Beteiligung der Muslimbruderschaft an den Protesten sind auf dem Platz selten islamistische Sprüche zu hören. "Dieses neue Miteinander ist etwas ganz Tolles und Neues, sagt eine Demonstrantin. Dass dies nicht selbstverständlich ist, zeigte sich auch an dem Hass, der bei den Pro-Mubarak-Demonstrationen aufkam: "Die Jugendlichen auf dem Platz sind alles Ungläubige! Sie kennen keinen Gott und bekommen Geld aus dem Ausland", brüllte am Freitag ein aufgebrachter Mann mit Schnauzbart.

Gerald Lauche schaut in die Runde seiner Gemeinde. Viele, die sonst kommen, sind nicht da, denn viele haben das Land wegen der Unruhen verlassen. Dafür sind andere Besucher da, die sonst kaum kommen. "Die Leute haben jetzt ein besonderes Bedürfnis nach Kirche und nach Gemeinsamkeit", sagt der evangelische Theologe. In seinem Gebet bittet er Gott, er möge weise Menschen, die Ägypten lieben, die Weichen für die Zukunft des Landes stellen lassen.

epd