Tabubruch on Air: "Gewinne deine eigene Beerdigung"
Es ist eine Aktion, die schockt, irritiert und einige geschmacklos finden: Ein Jugendradiosender in Bayern wirbt damit die eigene Beerdigung zu gewinnen. Das Spiel mit dem Grusel sei zwar ein raffinierter Tabubruch, aber auch ethisch unangemessen, meint eine Religionspädagogin.
04.02.2011
Von Anja Hübner

Aus den Boxen tönt der Trauermarsch von Frédéric Chopin. Dazu sagt eine Stimme im Jugendslang: "Das krasseste Radiospiel Deutschlands. Gewinne deine eigene Beerdigung." Hinter dem Mischpult sitzt Jens Pflüger, er ist Moderator beim Jugendradiosender Radio Galaxy in Aschaffenburg. "Was wären deine letzten Worte?" Vier Wochen lang ruft der Sender seine Hörer auf, diese Frage zu beantworten. Wer die "coolste Antwort" gibt, gewinnt eine Sterbeversicherung im Wert von 3000 Euro, die er für seine eigene Beerdigung nutzen muss.

Es ist ein ungewohnter Umgang mit dem sensiblen Thema Tod und Sterben, der sowohl Befürworter als auch Kritiker auf den Plan ruft. "Wir sind uns bewusst, dass dieses Gewinnspiel gespaltene Meinungen erzeugt", sagt Moderator Pflüger. Natürlich wolle der Sender durch die Promotionsaktion bekannter werden. "Aber es geht uns auch darum ein Thema publiker zu machen, das häufig totgeschwiegen wird."

"Der Sender missbraucht das Thema Tod"

Eines hat der Radiosender in jedem Fall erreicht: Es wird heftig diskutiert über das Für und Wider des Spiels mit dem Tod. Auf der Facebook-Seite des Senders zum Beispiel. Hier posten Nutzer Kommentare wie " Es gibt nichts geschmackloseres!" und " Bescheuert so eine Aktion aber ihr seit im Gespräch das was ihr wolltet". Doch es gibt auch nicht wenige positive Stimmen: "Auch Restaurants machen Werbung, warum nicht dann auch so was? nur weil es hier um Väterchen Tod geht?" und mit Verweis auf das Fernseh-Dschungelcamp: "ich persönlich find Maden mampfen wesentlich geschmack- und vor allem sinnloser als eine Sterbeversicherung".

Im Internet hat der Radiosender einen Aufruf für das Gewinnspiel geschaltet, der aussieht wie eine Traueranzeige. "Eine geschickte Art auf sich aufmerksam zu machen. Denn eine Karte mit Trauerrand erzeugt immer einen Gruseleffekt", sagt die Religionspädagogin Martina Plieth. Sie ist Professorin für praktische evangelische Theologie in Bielefeld und Göttingen mit dem Schwerpunkt Thanatagogik, der "Lehre von den Lebenslernbemühungen im Umfeld von Sterben, Tod und Trauer", wie sie es erklärt.

"Es ist prinzipiell gut, Menschen dazu zu bringen, über die Endlichkeit des Lebens nachzudenken", ist Plieth überzeugt. Deswegen finde sie die Aktion des Radiosenders als Denkanstoß und Tabubruch raffiniert gemacht. Ein wesentlicher Aspekt widerstrebt ihr allerdings: "Der Sender verfolgt das selbstsüchtige Ziel der Werbung und missbraucht dafür das Thema Tod." Deswegen veruteilt Plieth die Aktion in dieser Form als unethisch. Unklar sei ihr auch, welche letzten Worte die Hörer tatsächlich einsenden sollen: Die letzten gesprochenen Worte vor ihrem Tod oder die letzten Worte für ihre Grabrede?

"Die letzte Party ist immer noch die beste"

Die Hörer scheinen sich über die Bestimmung ihrer letzten Worte dagegen weniger Gedanken zu machen und texten munter drauf los. "Ich bin dann mal weg" und "Tschüss, jetzt schau ich mir die Radieschen von unten an" sind zwei der mehr als 350 Zuschriften, die die Radioredaktion in der ersten Woche der Gewinnspielaktion erhalten hat. "Meine E-Mail-Adresse gibt es nicht mehr. Schaut einfach im Friedhofsweg 3 vorbei", steht in einer weiteren E-Mail und: "Die letzte Party ist immer noch die beste." Meist sind die letzten Worte der Jugendlichen eher lustig, manchmal auch eher nachdenklich, wie zum Beispiel: "Danke Leben, es war schön mit dir. Wir treffen uns bald wieder."

Für einige junge Leute sei das Spiel mit dem Tod und der eigenen Beerdigung ein großer Spaß und eine Möglichkeit zu schockieren, meint die Theologin Plieth. "Zarte Seelchen kann eine solche Konfrontation mit dem Sterben aber auch verstören und ihnen sogar gefährlich werden." Das große Problem an der Werbeaktion sei, dass die Information "Gewinne deine eigene Beerdigung" erst einmal ungefiltert bei den Menschen ankomme und sie dann mit ihren Gefühlen allein gelassen werden.

Plieth setzt sich aus diesem Grund für die aktive Begleitung durch einen Gegenüber ein, an den sich die Jugendlichen wenden können. Dies könne durch eine extra eingerichtete Telefonhotline oder einen Kontaktbutton auf der Webseite geschehen. Denn eines ist Plieth besonders wichtig: "Die Beschäftigung mit dem Tod sollte niemals eine Einbahnstraße sein, sondern immer vom Austausch geprägt sein."


Anja Hübner ist Mitarbeiterin bei evangelisch.de und freie Journalistin in Mainz und Frankfurt am Main.