Die Jahrhundertflut schädigt auch das Great Barrier Reef
Australien rutscht von einer Katastrophe in die nächste: Meeresbiologen sorgen sich um das Great Barrier Reef. Den Korallenriffen im Meer droht durch die Flutkatastrophe an Land die Ausbleichung und Tod.
04.02.2011
Von Michael Lenz

Erst im Januar hatten wochenlange verheerende Wolkenbrüche in Queensland ein Gebiet von der Größe Frankreichs und Deutschlands zusammen unter Wasser gesetzt. Selbst die Hauptstadt Brisbane war überflutet. Tausende Menschen mussten evakuiert werden, über 20 Queensländer sind durch die Fluten ums Leben gekommen. Der Schaden für die Landwirtschaft und den Bergbau im rohstoffreichen tropischen Nordosten ist nach ersten Schätzungen gewaltig. Auf der Endabrechnung könnten umgerechnet etwa 15 Milliarden Euro stehen, befürchten Experten.

Korallen leiden unter Wasser

Als wäre das alles nicht schon genug der Katastrophe in Queensland, das vor den Sturzfluten mehr als acht Jahre unter einer schlimmen Dürre litt, sorgen sich Meeresbiologen um das Great Barrier Reef. Den Korallenriffen im Meer droht durch die Flutkatastrophe an Land die Ausbleichung und Tod. "Am meisten sorgen wir uns derzeit über die küstennahen Riffe, die etwa 20 bis 30 Kilometer vom Festland entfernt sind", erklärt Britta Schaffelke, Teamleiterin der Forschungseinheit für Wasserqualität und Gesundheit der Ökosysteme des Australischen Instituts für Meereswissenschaft (AIMS). Grund der Sorge sind die Sedimente und Verschmutzungen, die von den Hochwasser führenden Flüssen in das Meer gespült werden. Satellitenaufnahmen zeigen dunkelbraune Wasserfahnen an den Flussmündungen, die sehr weit hinaus in die Korallensee reichen.

So groß ist die Sorge über die Auswirkungen des Hochwassers auf das fragile Ökosystem des Great Barrier Reefs, dass sich mancher Wissenschaftler schon an 1991 erinnert fühlt. "Die Überschwemmungen hatten damals extrem harte Folgen für das Riff. Bis zu einer Wassertiefe von sechs bis acht Metern waren meisten Korallen ausgelöscht", sagt Alison Jones, Meeresforscherin an der CQUniversity (Central Queensland) in Rockhampton.

Weil sich das genaue Ausmaß der Schäden für die Korallen noch nicht endgültig abschätzen lässt, hoffen Jones und ihre Kollegen auf das Beste. Aber der Optimismus ist eher gedämpft. "Es gibt keinen Zweifel, dass die Flutfahne und mit ihr Nährstoffe und Sedimente schon eine Auswirkung haben", ist sich Jones sicher, die zusammen mit Wissenschaftlern anderer Institutionen wie der staatlichen Great Barrier Reef Marine Park Authority und dem AIMS führt wöchentlich Messungen an den Riffen vor den Keppel Inseln durchführt.

Wasser und Verschmutzung tödliche Mischung

Für die Korallen bringen die Wasserfahnen gleich mehrere Bedrohungen. Durch die extreme Süßwasserzufuhr sinkt zum Beispiel der Salzgehalt des Meerwassers. Das führt zur Korallenbleiche. Durch Sedimente wird das Wasser weniger lichtdurchlässig. Korallen sind so nicht mehr in Lage durch Photosynthese ihr Nahrung zu produzieren und müssen verhungern. Das könne für die Riffe und die Seegraswiesen im Einzugsbereich der Wasserfahnen eine tödliche Kombination sein, befürchtet Schaffelke.

Die Horrorliste lässt sich fortsetzen durch Schwermetalle Pestizide und Herbizide, die von den Fluten ins Meer geschwemmt werden und den Korallen auch immensen Schaden zufügen können. Entweder direkt oder indirekt, indem sie die Vermehrung von Makroalgen fördern oder auch die der gefräßigen Dornenkronenseesterne, einer der wenigen Tierarten, die sich von Korallen ernährt. Geht es aber den Korallen schlecht, geht es auch all jenen Fischarten an die Kiemen, denen die Korallenriffe Lebensraum und Nahrung bieten.

Wiederaufbau durch Kappung von Klimawandelprojekten finanziert

Das zyklische Auftauchen der Klimaphänomene El Nino und seines Gegenteils La Nina sind normal für die Anrainerstaaten des Südpazifiks in Asien, Australien und Südamerika. Aber australische Wissenschaftler sehen bei den extremen Fluten von Queensland auch den Klimawandel am Werk. So ist die aktuelle La-Nina-Periode die stärkste, die jemals gemessen wurde. Ebenfalls hoch wie nie zuvor sind die Temperaturen der Gewässer vor Australien. Das sorgt für die Zufuhr großer Feuchtigkeitsmengen in die Atmosphäre von Queensland und den australischen Monsun. Zu Deutsch: Es regnet häufiger, länger und heftiger.

Die australische Regierung hat in der vergangenen Woche die Erhebung einer Abgabe zur Finanzierung des Wiederaufbaus von Queensland beschlossen. Während die Mehrheit der Australier in Solidarität mit ihren Landsleuten die Abgabe zähneknirschend akzeptiert, stieß sie bei der konservativen Opposition wie auch bei Umweltverbänden auf Kritik. Wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Oppositionschef Tony Abbott sieht in der Abgabe weiteren Beweis dafür, dass Linke nichts als den "übermächtigen Staat" und Steuererhöhungen im Sinn haben.

Die Umweltverbände sind weder gegen die Abgabe noch haben sie Einwände, dass angesichts der enormen Kosten zusätzliche Mittel aus dem Regierungshalt kommen und dafür an anderer Stelle gespart werden muss. Aber sie reagierten mit entsetztem Erstaunen auf die Absicht von Premierministerin Julia Gillard genau bei jenen Posten den Rotstift anzusetzen, die langfristig solche Unwetterkatastrophen zumindest begrenzen könnten: bei Klimaprojekten. Wenn schon gespart werden müsse, dann doch bitte bei den Subventionen und Steuererleichterungen für fossile Brennstoffe, die sich umgerechnet auf 3,6 Milliarden Euro jährlich addieren, sagt Don Henry, Direktor der Australian Conservation Foundation.

Erholung dauert eine Dekade

Wann es aber mit dem Wiederaufbau Queenslands so richtig losgehen kann, ist noch ungewiss. Die Meteorologen des australischen Wetteramtes befürchten, das regenreiche Wetterphänomen La Nina könne noch einige Monate anhalten. Das beeinträchtigt auch die Schadensabschätzung der Meeresbiologen. Im großen Stil könne mit der Diagnose des Zustands der Riffe frühestens Ende März begonnen werden, vermutet Schaffelke. "Abhängig vom Ausmaß des Schadens kann die Erholung der Riffe Jahre dauern", warnt sie. Nach der Flut von 1991 haben die Selbstheilungskräfte bis zu zehn Jahre gebraucht, um das Leben in die Riffe zurückzubringen.


Michael Lenz ist freier Journalist und berichtet als Korrespondent aus Südostasien.