TV-Tipp des Tages: "Séraphine" (BR)
Jeden Sou, den das Dienstmädchen Séraphine Louis nicht zum Leben brauchte, investierte sie in Farben. Ihre vermeintlich simplen Bilder zählen zur naiven Malerei.
04.02.2011
Von Tilmann P. Gangloff

"Séraphine", 5. Februar, 22.50 Uhr im Bayrischen Fernsehen

Die Geschichte ist ebenso unglaublich wie authentisch: Séraphine Louis, bekannt geworden als Séraphine de Senlis, war ein einfaches Dienstmädchen. Ihr entbehrungsreiches Dasein kannte nur eine Form des Luxus: Jeden Sou, den sie nicht zum Leben brauchte, investierte sie in Farben. Ihre vermeintlich simplen Bilder zählen zur naiven Malerei. Die Motive, meist Obst oder Blumen, sind ebenso schlicht wie ihre Technik, doch ihr Werk ist einer offenkundigen Kraft, die sich selbst im Umweg über die Kinoleinwand erschließt. Ihren Mäzen Wilhelm Uhde (Ulrich Tukur) hat es ebenfalls wirklich gegeben. Der Kunstsammler gilt als Entdecker von Pablo Picasso und Henri Rousseau; er hat den Begriff "Naive Kunst" geprägt.

Fast religiös anmutende Hingabe

Bei aller Wertschätzung der Kunst Séraphines ist dieser Film von Martin Provost alles andere als eine distanzlose Verehrung. Seine Hauptfigur (Yolande Moreau) ist im Gegenteil eine höchst skurrile Frau, die nur dann aus sich rauskommt, als sie malt. Schon allein diese fast religiös anmutende Hingabe macht Séraphine zur Außenseiterin. Ihre feste Überzeugung, sie handele im Auftrag eines Schutzengels, ist ein früher Hinweis auf ihr späteres Schicksal: Ausgerechnet im Jahr ihrer ersten großen Ausstellung wird sie in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Gemalt hat sie nie wieder.

Provosts Regie funktioniert ähnlich wie die Bilder seiner Heldin: Der Film gibt sich überaus bescheiden und ist gerade deshalb überaus kraftvoll. Er erzählt das Lebens von Séraphine Louis nicht als Porträt, sondern wie eine fiktionale Geschichte. Seine Konzentration gilt daher auch weniger dem Werk der Künstlerin, sondern ihrem Alltag. Entscheidender für die Wirkung des Films aber ist die Umsetzung. Provost inszeniert das Werk sehr sachlich, fast nüchtern, und äußerst zurückhaltend; die Schnittfrequenz ist so niedrig wie möglich, die Kamera kaum in Bewegung. Die ästhetische Konzeption garantiert zudem, dass Séraphines Bilder zur Geltung kommen: Der Film verzichtet konsequent auf warme Farben, so dass die Gemälde in einer fast jenseitigen Schönheit erstrahlen.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).