Schneider in Afghanistan: "Ich bin gekommen, um zuzuhören"
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, ist in Afghanistan. Durch seinen Besuch wolle er den Soldaten zeigen, dass die Kirche "nahe bei den Menschen" sei, hieß es von der EKD. Schneider mache sich ein Bild von den zivilen Projekten und deren Verknüpfung mit militärischen Aufgaben.
03.02.2011
Von Dorothea Siegle

Am Abend ist Sturm. Er fegt durch die Wege des dunklen Bundeswehrcamps in Afghanistan, treibt Sand vor sich her und zerrt an dem Zeltdach der kleinen, siebeneckigen Kapelle. Drinnen leuchten Kerzen in den Fenstern und am Altar. Rund 60 deutsche Soldaten sind gekommen, um Gottesdienst zu feiern - ausnahmsweise mal an einem Mittwoch.

Der Grund: Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, ist mit einer kleinen Delegation zu Besuch im Bundeswehrlager in Masar-i-Scharif, zusammen mit dem evangelischen Militärbischof Martin Dutzmann und dem EKD-Friedensbeauftragten Renke Brahms. Auf ihrer Pastoralreise wollen die drei Leitenden Geistlichen mit Soldaten und Hilfsorganisationen sprechen, sich selbst ein Bild von dem ISAF-Einsatz machen, den der Bundestag vergangene Woche für ein weiteres Jahr verlängert hat.

"Sie sind unsere Gemeindeglieder hier"

"Wir sind gekommen, um zu sagen: Wir stehen dazu, dass Sie unsere Leute sind, Sie sind unsere Gemeindeglieder hier. Und ordentliche Pfarrerinnen und Pfarrer besuchen ihre Leute", sagt Schneider zu Beginn seiner Predigt. Er mahnt die Soldaten, sich nicht zu Hass auf den Gegner hinreißen zu lassen - "denn meine Würde als Mensch zu wahren gelingt nur, wenn auch die Würde des anderen gewahrt bleibt".

Und Präses Schneider erzählt aus den Gesprächen, die er zuvor mit Soldaten geführt hat: "Ich habe von Ihnen gehört, was es für Sie bedeutet, dass die politische Debatte im Bundestag über den Einsatz genutzt wird, um andere politische Spiele zu spielen - und Sie sozusagen im parteipolitischen Streit instrumentalisiert werden. Dafür sind Sie nicht hier. Dafür hält man seine Knochen nicht hin. Sie können sich darauf verlassen: Dazu werden wir etwas sagen."

Soldaten töten - und werden nicht immer damit fertig

Es ist der erste Tag der Reise der EKD-Delegation in Afghanistan. Am Morgen der Flug von Usbekistan nach Masar-i-Scharif in das Camp Marmal, rund 2.500 Bundeswehrsoldaten sind hier stationiert. Viele Gespräche stehen an. "Ich bin gekommen, um zuzuhören", sagt Schneider. Ein Treffen mit dem Kommandeur des ISAF-Einsatzes im Norden von Afghanistan, Generalmajor Hans-Werner Fritz, steht auf dem Programm, ebenso ein Besuch im Feldlazarett bei den Sanitätern.

"Wenn Sie unter Feuer stehen, wie können Sie da arbeiten?" fragt der Ratsvorsitzende einen Oberstabsarzt. "Man funktioniert", lautet die Antwort. Das Rote Kreuz auf den Sanitätsfahrzeugen ist verschwunden, immer wieder hatten Taliban gerade danach Ausschau gehalten und die Sanitäter angegriffen. Auf den Transportpanzer Fuchs, mit denen die Sanitäter rausfahren, haben sie ein Maschinengewehr installiert. Schon nach wenigen Stunden Aufenthalt wird klar: Dieser Einsatz hat eine neue Dimension erreicht.

Die neue Taktik für die Bundeswehr lautet: Wir drängen die Taliban aus den umkämpften Gebieten hinaus. Die Soldaten sprechen es aus: Wir töten. Im Büro des evangelischen Militärpfarrers Michael Rhode stehen dann auch die Soldaten in der Tür, die mit dem Töten nicht zurechtkommen. Sie sagen: "Rational ist das in Ordnung, ich habe meinen Auftrag erfüllt. Aber ich werde trotzdem nicht damit fertig."

Diskussionen bei Bier und Cola im Camp

Noch lange nach dem Gottesdienst stehen Schneider, Dutzmann und Brahms in der Betreuungseinrichtung mit den Soldaten bei Cola und Bier zusammen. Sie fragen und diskutieren und bekommen Mannigfaltiges zu hören, zum Beispiel, dass es viele Soldaten gibt, die das Camp nie verlassen. Und die sagen: Hier lebt es sich genau wie in einer deutschen Kleinstadt. Afghanen? Kein Kontakt. Andere erzählen: Die militärische Lage sei besser geworden, es gebe erste Erfolge durch die offensiveren Gefechte. Und wiederum andere Soldaten fragen: Aber sind das wirklich die richtigen Mittel, um ein friedliches Afghanistan zu erreichen?

Für den Ratsvorsitzenden der EKD ist es die wichtigste Frage, die sich nach dem ersten Besuchstag in Afghanistan ergibt: "Wie weit kann das neue Konzept des offensiveren Vorgehens der Bundeswehr zu einem Erfolg geführt werden? Und wie weit können wir als evangelische Kirche da ethisch mitgehen?" Um Antworten auf diese Fragen näher zu kommen, wollten sich Schneider und Brahms am Donnerstag ein Bild vom Stand ziviler Aufbauprojekte und deren Verknüpfung mit dem militärischen Engagement machen. 

epd