Die unsichtbaren Gitter, die die Betroffenen umgeben, sind häufig wasserdicht. Zuhälterorganisationen und Menschenhändlerringe sind straff organisiert und halten ihre Opfer unter strenger Bewachung. Oft genug gibt es kein Entrinnen, zumindest macht man das die Betroffenen glauben. Kontrollen, Gewalt und die Drohung, Angehörigen etwas anzutun, halten die Frauen in Schach. Um Opfern zu helfen, aus einem solchen Teufelskreis auszubrechen, gibt es Organisationen wie "Mouvement du Nid" ("das Nest") in Straßburg und "FreiJa" in Kehl, eine Organisation der Diakonie. Durch aufsuchende Straßenarbeit und durch konkrete Hilfsmaßnahmen - zum Beispiel wenn eine Frau Schutz sucht oder untertauchen muss - helfen sie Betroffenen beim Ausstieg aus dem Rotlichtmilieu.
22 Fälle von Zwangsprostitution bearbeitete die Organisation FreiJa 2009, die außer in Kehl auch in Freiburg und an der Schweizer Grenze tätig ist. Der Name FreiJa leitet sich dabei von "Ja zur Freiheit" ab. Überdurchschnittlich viele Frauen, die von FreiJa betreut werden, stammen in den letzten Jahren aus Rumänien und Bulgarien, beide Länder sind zu Schwerpunkte von Menschenhändlerringen in Osteuropa geworden. Farbige Frauen kommen meist aus Nigeria oder der Dominikanischen Republik. Die meisten sind unter 25 Jahren alt.
Die Fallzahlen von FreiJa zeigen aber nur einen kleinen Teil des Ausmaßes: Denn wie viele Frauen und Mädchen tatsächlich unter schlimmsten Bedingungen als Zwangsprostituierte in Deutschland leben müssen und auf Gedeih und Verderb ihren Peinigern ausgeliefert sind, ist nicht bekannt. Manche Statistiken sprechen von 400.000 Prostituierten in ganz Deutschland.
Im rechtlichen Niemandsland ist die Hilfe für die Frauen schwer
Der Zugang zu den Betroffenen ist schwer. Eine engmaschige Überwachung, das Ausnutzen der unterschiedlichen Rechtsprechung in Deutschland und Frankreich sowie die Scham der Betroffenen machen eine Kontaktaufnahme schwierig. Ein Sprecher der Polizeidirektion Offenburg in der Nähe von Straßburg: "Wir wissen, dass viele Prostituierte in Kehl wohnen und abends über die Europabrücke nach Straßburg und dort auf den Straßenstrich gehen. Aber das allein ist kein Straftatbestand, wir können daher nicht eingreifen." Außerdem sei die Fluktuation sehr hoch – die Zuhältermafia beliefere den Markt stets mit neuen "Anbieterinnen". Denn in Frankreich sind Bordelle und Zuhälterei zwar verboten, der Straßenstrich wird jedoch geduldet. Dies nutzen Menschenhändler aus. Die Opfer hingegen schweigen in der Regel aus Angst und Scham.
Die Zuständigen der Diakonie kommen dabei meist dann ins Spiel, wenn Kripo, Kooperationspartner wie Beratungsstellen, die eigene aufsuchende Arbeit oder Streetworker auf einen Fall aufmerksam machen. Nicht selten setzen sich die Engagierten dann selbst Gefahren aus: "Man darf nicht vergessen, dass es sich hier um organisiertes Verbrechen handelt", sagt Judith M. von FreiJa. Mitarbeiterinnen der Organisation seien auch bereits massiv bedroht worden.
Findet eine Betroffene zu der Organisation, hilft diese mit Rat und Tat: mit der Bereitstellung einer anonymen Notunterkunft, mit Geldern für den Lebensunterhalt, mit psychologischer und rechtlicher Beratung, mit Dolmetscherinnen und Anwältinnen. Denn häufig ist das Aufenthaltsrecht nicht geklärt, die Frauen bewegen sich in einem rechtlichen Niemandsland. Sie sind traumatisiert und labil, wollen aber meist in Deutschland bleiben, was aber fraglich ist. Denn auch die Illegalität ist häufig ein Mittel der Zuhälter, um die Frauen unter Druck zu setzen.
400 Frauen im Jahr vor Zuhältern geschützt
Die Helfer von FreiJa wenden sich in ihrer Arbeit explizit gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution. Die französische Partnerorganisation "Mouvement du Nid", die in ganz Frankreich vertreten ist, lehnt hingegen jede Form der Prostitution als grundsätzlich menschenunwürdig ab und arbeitet auf die Abschaffung der Prostitution hin.
Aufsuchende Straßenarbeit, Sexualaufklärung an Schulen, bei der das Verhältnis der Geschlechter thematisiert wird, und bewusste Sensibilisierung von potenziellen Freiern sind dabei die Mittel der Wahl.
Knapp 400 Fälle bearbeitet Le Nid jährlich in Straßburg. "Wir wollen Kunden dafür sensibilisieren, dass durch Zwangsprostitution Menschenrechte verletzt werden und der Missbrauch von Frauen nicht unterstützt werden darf", betont Isabelle Collot (Bild links), die die Seele der Organisation in Straßburg ist. Denn insbesondere auf dem Straßenstrich gingen die Freier immer brutaler vor.
Ähnlich wie FreiJa bietet Le Nid im Ernstfall Unterkunft, Notfallversorgung, rechtliche Beratung und die Bereitstellung von Dolmetscherinnen an. Le Nid wird in solchen Fällen tatsächlich zum Nest der Zuflucht und bietet Abschirmung und Schutz vor brutalen Zuhältern durch anonyme Unterbringung. Sind die Betroffenen durch psychologische Unterstützung wieder stabiler, wird gemeinsam erörtert, wie es weitergehen kann. Denn auch wenn sie Schlimmes erlebt haben, haben die meisten Frauen ihre Träume nicht verloren: "Ich will Krankenpflegerin werden", sagt eine Betroffene, "und mit dem ganzen Schmutz hier nichts mehr zu tun haben."
Marijana Babic ist freie Autorin.