Kein Internet mehr: Ein Land geht ins Off
Die totalitäre Regierung des ägyptischen Staatspräsidenten Husni Mubarak versucht die Kommunikation- und Bewegungsfreiheit der Bürger einzuschränken, um die Proteste einzudämmen. Dabei scheute sie vor schweren Eingriffen in versorgungsrelevante Infrastrukturen des Landes nicht zurück. Die Demonstrationen gingen dennoch unvermindert weiter.
02.02.2011
Von Christiane Schulzki-Haddouti

13 Minuten dauerte es vergangenen Freitag das Internet in Ägypten auszuschalten. Die vier Kernnetz-Provider teilten ausländischen Providern die für die Datenübermittlung notwendigen Daten nicht mehr mit. Damit waren sie von der Internetkarte rasch verschwunden, da das ägyptische Netz von außen nicht mehr angesprochen werden konnte. Dies gelang mit Hilfe der so genannten BGP-Router (Border Gateway Protocol), die das Netz über das BGP-Protokoll mit der Gesamtheit des Internets verbinden. "Wenn man die logische Verbindung zu den Netzen herunterfährt, sind diese nicht mehr auffindbar", erklärt Harald Summa, Geschäftsführer des Internetprovider-Verbands eco.

Zuletzt wurde am Montagabend auch der Provider der Noor Group vom Netz genommen, dem Provider der ägyptischen Börse und des ägyptischen Ratingbüros I-Score. Aktuell scheint sich die Situation allerdings wieder zu ändern. Medienberichten zufolge ist in einzelnen Städten der Internetzugang wieder möglich.

Könnte man in Deutschland das Internet auch kurzerhand lahmlegen? Wohl eher nicht: Es gibt in Deutschland rund 280 Backbone-Provider, die nahezu gleichzeitig abgeschaltet werden müssten. Außerdem unterhalten internationale Konzerne wie Google, Limelight und Akamei hier internationale Netze. In Ägypten gibt es hingegen nur vier Kernnetz-Anbieter, an die viele kleine Zugangsanbieter angebunden sind.

Impuls aus Tunesien

Der Aufstand der tunesischen Bürger gegen soziale Missstände und Korruption hatte das Fanal gegeben für die Ägypter, die seit Jahren mit Mubaraks Innen- wie Außenpolitik unzufrieden sind. Die Behörden sorgte dafür, dass Ägypten aus dem Internet herausgenommen wurde, auch die Mobilfunknetze wurden wiederholt ausgeschaltet. Die staatliche Eisenbahn stellte ebenfalls den Verkehr ein, Hauptverkehrsstraßen wurden blockiert, umfassende Ausgangssperren verhängt. Das Büro des arabischen Fernsehsender Al Jazeera wurde zeitweise geschlossen, das staatliche Fernsehen zeigte gespenstisch leere Straßen. Doch Al Jazeera und andere arabische Sender berichteten weiterhin aus Kairo und anderen Städten, teilweise mit Hilfe von Videos, die Augenzeugen mit ihren Handys aufgenommen hatten.

Mit analogen Internet-Modems wählten sich Unverzagte über ausländische Einwahlknoten dennoch ins Internet ein, um Nachrichten zu übermitteln. Denn das analoge Telefonnetz blieb unberührt. Derzeit unterstützen über 100 Datenleitungen aus Europa die innerägyptische Kommunikation. Die Nummern der Einwahlknoten werden nach Ägypten per Fax übermittelt. So ganz abschalten lässt sich das Internet also selbst in Ägypten nicht.

Google richtet Mailbox ein

Google richtete eine Mailbox ein, auf der Sprachnachrichten hinterlassen werden können. Den Link zu den Nachrichten twittert Google über den Account speak2tweet. Eine Anruferin sagte: "Als das Internet und das Mobilfunknetz abgeschaltet wurde, hatten wir große Angst, wir würden erschossen werden und keiner würde davon erfahren. Wenn jetzt der Mobilfunk wieder zusammenbricht haben wir keine Angst mehr und werden dennoch zum Tahrirplatz gehen." Allerdings können auf diese Weise die Inhalte der Nachrichten nicht schnell erschlossen werden. Ein Twitterer namens Jan25Voices ruft deshalb Kontaktpersonen in Ägypten an und schreibt für sie Nachrichten auf, die er weitertwittert. Auch Amateurfunker sind aktiv. Im Internetzeitalter schon fast ins Abseits gedrängt, unterstützen sie nun Telefonlisten nach Ägypten.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisierte den britischen Telekommunikationskonzern Vodafone für seine Bereitschaft, das Mobilfunknetz abzuschalten. Vodafone ist einer der größten Mobilfunkanbieter in Ägypten. Vodafone erklärte, dass die Behörden selbst das Netz hätten abschalten können, doch die Wiederherstellung hätte in diesem Falle länger gedauert.

Andere Staaten

Doch nicht nur totalitäre Staaten wünschen sich einen "Ausknopf" für das Internet. In den USA sieht ein Gesetzesentwurf einen solchen vor. Das digitale Notfallgesetz "Protecting Cyberspace as a National Asset Act of 2010" soll noch in diesem Jahr verabschiedet werden. Demnach kann der Präsident in einem Notfall Internet-Anbieter und Mobilfunker unter Kontrolle stellen. Schon jetzt hat die US-Regierung über die Internetverwaltung ICANN de facto die Kontrolle über das Internet. Der entsprechende Vertrag zwischen der privat geführten Organisation und dem US-Handelsministerium soll dieses Jahr verlängert werden. ICANN verwaltet die Web-Adressen und damit die Zuschreibung der IP-Adressen zu Internetnamen wie vdi-nachrichten.com. ICANN könnte theoretisch einzelne Domains und damit Länder oder Geschäftszweige aus dem Internet herausschneiden.

In Deutschland brachte erstmals der ehemalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble vor zwei Jahren die Idee auf, einen "Internetnotstand" ausrufen zu können in die Diskussion. Im Falle von Denial-of-Service-Attacken etwa solle es möglich sein, Teilnetze abzuschalten, um weiteren Schaden zu verhindern. Er sagte, dass Provider bislang nur insgeheim die Botnetz-Rechner vom Netz genommen hätten, bei denen sie einschlägige verdächtige Aktivitäten beobachten konnten. Nur insgeheim, da sie sie Rache der Kriminellen fürchteten. Dies solle auch ganz offiziell möglich sein. Immerhin steht Deutschland auf einer Rangliste der Länder mit infizierten Botnetz-Rechnern auf einem unrühmlichen Platz 3 - nach den USA und China.

Keine Pläne in Deutschland

Aktuelle Pläne für eine entsprechende Gesetzesänderung gibt es nicht. Philipp Spauschuss, Sprecher des Bundesinnenministeriums, sagt: "Es gibt seitens der Bundesregierung keine Pläne für einen so genannten "Kill Switch" für das Internet, also das Zwangsabschalten im Falle von Angriffen." Entsprechende Pläne auf EU-Ebene seien ebenfalls nicht bekannt. Auch Harald Summa sind entsprechende Diskussionen nicht bekannt. Schäubles Idee war wohl nur eine Idee gewesen.


Christiane Schulzki-Haddouti ist freie Journalistin und lebt in Bonn