Der Kirchenkreis Herford wirbt um neues Vertrauen
50 Millionen Euro, einfach so aufgetaucht - wie konnte das passieren? Der Kirchenkreis und der Superintendent rätseln gemeinsam. Die Kirchenkreisleitung trat zurück. Nun steht den Herfordern eine ungewöhnliche Aufgabe bevor: Eigentlich könnten sie sich über das aufgetauchte Vermögen freuen. Aber zuerst muss wieder Vertrauen im Kirchenkreis einkehren.
30.01.2011
Von Holger Spierig

Es sind nur wenige Sekunden Stille, als der Herforder Superintendent Michael Krause seine Rede beendet hat, dann entlädt sich die angestaute Spannung in einen minutenlanger Beifall. Der angekündigte Kurs eines Neuanfangs ist im Kirchenparlament stößt offenbar auf breite Zustimmung. Seit ein über Jahrzehnte heimlich angespartes Sondervermögen von fast 50 Millionen Euro auftauchte und bundesweit für Schlagzeilen sorgte, ist die Kirche hier nicht mehr zur Ruhe gekommen.

Offenheit und eine transparente Leitung seien Voraussetzung, wieder Vertrauen wachsen zu lassen, bekräftigt der Superintendent in seinem Bericht. "Ich möchte sachlich sprechen und werbe um Vertrauen", sagt er mit klarer, ruhiger Stimme. Zugleich wirbt der 43-jährige Theologe für einen behutsamen Umgang zwischen den Mitwissern um das Sondervermögen und jenen, die von nichts wussten. Der seit 2009 amtierende Superintendent hatte vor zwei Wochen das jahrzehntelange Schweigen im Kirchenkreis gebrochen und die Kreissynode (Kirchenparlament) mit einem Brief informiert.

Wie konnte das geheim bleiben?

"Für mich bleibt insgesamt die Frage, wie es möglich war, über mehrere Generationen hinweg das verdeckte Vermögen nahezu unbemerkt zu führen", rätselt noch heute der Superintendent des mit 128.000 Gemeindemitgliedern zweitgrößten Kirchenkreises der westfälischen Landeskirche. Das Sondervermögen sei von Anfang an nicht im regulären Haushalt ausgewiesen worden. Die Kreissynode habe zu keiner Zeit Kenntnis davon gehabt. Nach wie vor gebe es jedoch keine Anhaltspunkte für strafrechtliches Vergehen, unterstrich er.

Ein deutliches Zeichen für einen Neuanfang setzte auch das Leitungsgremium des Kirchenkreises mit seinem Rücktritt, den es im Anschluss an den Bericht des Superintendenten bekanntgab. Der Kreissynodalvorstand bat die Synode um Entschuldigung dafür, "dass wir vom Sondervermögen gewusst haben und uns dennoch in die Tradition und Geschichte des Schweigens haben hinein nehmen lassen." Das habe dazu beigetragen, "dass Vertrauen in Personen sowie in Strukturen verletzt wurde und verloren gegangen ist". Dafür übernehme das Gremium die politische Verantwortung.

Den Schritt empfindet Pfarrerin Anke Hülsmeier als Befreiung. Als sie 2008 in den Kreissynodalvorstand kam, wurde sie über das Geheimnis informiert - zugleich aber zur Verschwiegenheit verpflichtet. "Ich war zunächst entsetzt und fand, dass das vor die Synode muss", erzählt sie. Sie habe sich zwar entschlossen weiterzumachen, und sich dafür einzusetzen, dass das Geheimvermögen transparent gemacht werde. "Ich hätte aber hartnäckiger nachfragen und darauf dringen sollen", sagt die 47-Jährige rückblickend.

In ihrer Gemeinde hat sie mit Mitarbeitern und Gemeindemitgliedern unermüdlich Gespräch gesucht. Sie habe klar gesagt, "was ich falsch gemacht habe und wo ich nicht anders konnte". Überwiegend sei man ihr mit Verständnis für ihre schwierige Situation begegnet.

"Viel kaputt gegangen an Vertrauen"

Angesichts klammer Kirchenkassen müsste zwar eigentlich eitel Freude herrschen über das unverhoffte Vermögen. Nach einem harten Sparkurs, den sich der Kirchenkreis in den letzten Jahren verordnete, herrschen stattdessen aber eher Empörung und Enttäuschung. Mit dem Wissen um das Vermögen hätten die Einschnitte schonungsvoller und über längere Zeiträume hinweg umgesetzt werden können, sagen Gemeindemitglieder.

Der Fonds war nach Angaben von Superintendent Krause 1967 vom damaligen Kreissynodalvorstand als "Sparbuch" für schlechte Zeiten eingerichtet. Ursprünglich wurden 1,5 Millionen D-Mark aus Kirchensteuermitteln eingezahlt, die auf heute etwa 49,5 Millionen Euro anwuchsen. Ob es über die Jahre weitere Aufstockungen gegeben hat oder das Wachstum allein durch Renditen erzielt wurde, wird noch geprüft. Die Sonderkasse war über die Jahrzehnte nur dem jeweiligen Superintendenten und einem kleinen Kreis Eingeweihter bekannt. Die Landeskirche kündigte Disziplinarverfahren gegen die Betroffenen an.

"Ich bin traurig", sagt ein Synodaler, der für seine Gemeinde ehreamtlich im Presbyterium sitzt, nach dem Rücktritt der Kirchenkreisleitung. "Da ist viel kaputt gegangen an Vertrauen und Zusammenarbeit". Er könne jedoch nicht sagen, wie er selbst an der Stelle der eingeweihten Leitungsmitglieder gehandelt hätte. Zur öffentlichen Aussprache kam es am Wochenende nicht mehr. Als ein Besucher am Rande der Sitzung starb, wurde die Synode vertagt.

epd