Fast alle Nebenklagevertreter wollen den Vater des Amokläufers von Winnenden im Gefängnis sehen. Der Bonner Rechtsanwalt Uwe Krechl forderte in seinem Plädoyer vor dem Landgericht in Stuttgart am Donnerstag eine Haftstrafe von drei Jahren für Jörg K. Viele Anwälte und Angehörige der Opfer sprachen sich für eine Haftstrafe von einem oder zwei Jahren aus.
Ebenso wie die Staatsanwaltschaft sind alle Anwälte der Ansicht, dass der Angeklagte nicht nur gegen das Waffengesetz verstoßen, sondern sich auch der fahrlässigen Tötung in 15 Fällen und der fahrlässigen Verletzung in mindestens 13 Fällen schuldig gemacht habe. Einige Nebenklagevertreter verzichteten zwar in den Plädoyers auf ein bestimmtes Strafmaß, gaben aber zu bedenken, ob die von der Staatsanwaltschaft geforderte Freiheitsstrafe auf Bewährung ausreiche.
Keine persönlichen Worte
Die Eltern der erschossenen Schüler denken ähnlich: "Meine Tochter würde noch leben, wenn die Waffen anders aufbewahrt worden wären", sagte Dieter Kleisch. Der Vater eines weiteren Opfers fügte sichtlich aufgewühlt an: "Der Angeklagte hat seinem Sohn die Waffe überlassen. Für mich ist es so, als hätte er den Mord selbst begangen." Ein dritter Angehöriger geht sogar noch weiter und meint, dass Jörg K. an jedem zukünftigen Amoklauf eine Mitschuld trage: "Denn er hat nicht zur Aufklärung beigetragen. Wichtiges Wissen über Amokläufer haben wir nicht erfahren."
Traurige Stille herrschte im Gerichtssaal. Die Kluft zwischen dem Angeklagten und den Angehörigen der Opfer scheint unüberwindlich. Vor dem Prozess hätten sich die Eltern der getöteten Kinder oft gefragt, wie sie reagieren sollten, wenn sich der Vater des Amokläufers für sein Versagen entschuldigt, sagte der Vertreter von fünf Nebenklägern, Stefan Rabe. Seine Mandanten seien bereit gewesen, auf den Angeklagten zuzugehen - bis es dieser nicht mehr für nötig gehalten habe, vor Gericht zu erscheinen.
"Das gegenseitige Verständnis ist auf dem tiefsten Punkt seit Prozessbeginn gesunken", meint auch Rechtsanwalt Michael Bagin. In der Eröffnungserklärung hätten Jörg K.s Verteidiger versprochen, mit dazu beizutragen, das "Warum" der Tat zu klären. Aber der Vater habe verschwiegen, dass er von den Tötungsfantasien seines Sohnes gewusst hatte, und habe ihn an der späteren Tatwaffe sogar trainiert. Es sei "zynisch", wenn der Angeklagte über seine Anwälte verkünden lässt, es habe keine Anzeichen für den Amoklauf seines Sohnes gegeben.
Staatsanwaltschaft fordert zweijährige Haftstrafe auf Bewährung
Am Ende des Prozesstages bedankt sich Barbara Nalepa, Mutter einer getöteten Schülerin, beim Richter. Während des Prozesses habe sie viel über die Täterfamilie erfahren. "Dort herrscht Egoismus, Geld und Macht", sagt sie. "In meiner Familie herrscht Liebe und Kommunikation." Die dreifache Mutter kämpft mit der Fassung. "Durch die Fehler der Familie K. hat meine Tochter Nicole den höchsten Preis und die höchste Strafe gezahlt - ihr Leben."
Die 19 Anwälte vertreten vor Gericht 43 Nebenkläger. Die meisten Nebenkläger sind Eltern, deren Kinder beim Amoklauf erschossen wurden. Der Vater des Täters wird beschuldigt, die Tatwaffe unverschlossen aufbewahrt zu haben. Damit hatte sein 17-jähriger Sohn am 11. März 2009 an der Albertville-Realschule in Winnenden bei Stuttgart neun Schülerinnen und Schüler sowie drei Lehrerinnen erschossen. Auf der Flucht tötete er drei weitere Menschen, bevor er sich selbst das Leben nahm.
Die Staatsanwaltschaft fordert eine zweijährige Haftstrafe auf Bewährung. Der Angeklagte habe nicht nur gegen das Waffenrecht verstoßen, sondern sich auch der fahrlässigen Tötung in 15 Fällen und der fahrlässigen Verletzung in 13 Fällen schuldig gemacht. Am Dienstag sollen die beiden Verteidiger des Angeklagten zu Wort kommen.