PID: Ab wann ist ein Mensch ein Mensch?
Die Meinungen evangelischer Christen zum Thema Präimplantationsdiagnostik gehen weit auseinander. Soll die Untersuchungsmethode für im Reagenzglas erzeugte Embryonen in Deutschland erlaubt werden? Die Teilnehmer einer Podiumsdiskussion in Berlin diskutierten kontrovers und emotional.
27.01.2011
Von Thomas Klatt

Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Präimplantationsdiagnostik (PID) vom Juni 2010 werden eine mehr oder minder stark begrenzte Zulassung, wie auch ein Verbot dieser Diagnostik breit diskutiert. Erst jüngst sprach sich ein breites Bündnis von Medizinern für die PID aus. Die beiden Kirchen hingegen machten in der Vergangenheit aus ihrer abwehrenden Haltung keinen Hehl.

Zumindest auf evangelischer Seite wird aber nun ein Überdenken der eigenen Position eingeräumt. Er sei in Sachen PID noch ein Lernender, sagte jetzt EKD-Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider in Berlin. Er verwies vor allem auf seelsorgerliche Erwägungen bei der christlich-ethischen Urteilsbildung. Die Situation der Mütter und der Familien dürfe nicht aus dem Blick geraten. Die Nöte und Fragen der Menschen müssten ernst genommen werden. Schneider hält die Anwendung der PID unter strengen Auflagen für denkbar.

Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Pfarrer Peter Hintze plädiert zusammen mit einer parteienübergreifenden Parlamentariergruppe für die gesetzliche Zulassung der Präimplantationsdiagnostik in engen gesetzlichen Grenzen. Sogenannte monogene Krankheiten, die also nur auf ein Gen zurückzuführen sind, können dank dieser Methode frühzeitig noch vor der Einpflanzung des künstlich erzeugten Embryos erkannt werden.

Hintze: Frauen haben Panik vor Schwangerschaft

Damit deutsche Paare nicht mehr zu Hunderten für die Untersuchung nach Belgien oder Großbritannien gehen müssen, soll PID auch in Deutschland an wenigen lizensierten Kliniken angeboten werden. Die künftigen Eltern sollen medizinisch wie auch psychosozial beraten werden und eine Ethik-Kommission soll in jedem einzelnen Fall mitentscheiden, damit die elterliche Wahl für oder gegen den Embryo nicht beliebig wird. Höchstes Ziel müsse es aber sein, den verzweifelten Paaren und Müttern zu helfen.

"Es gibt Menschen, die mit großer Angst und mit großer Panik auf die Schwangerschaft blicken, weil sie an schweren erblichen Vorbelastungen leiden und bereits Tod und Fehlgeburten hinter sich haben. Es sind gerade die Frauen, die sich die Augen ausheulen, die ein Kind ausbluten", schildert Peter Hintze. Er drängt auf gesetzliche Widerspruchsfreiheit mit dem Paragraphen 218 und den heute schon erlaubten Schwangerschaftsabbrüchen.

PID müsse der heute schon erlaubten Pränataldiagnostik gleichgestellt werden. "Eine Widerspruchsfreiheit kann ich nicht entdecken, wenn wir eine Untersuchung eines Embryos oder Fötus im Mutterleib zu jedem Zeitpunkt erlauben. Wir erlauben die Spirale, die hunderttausendfach, manche sagen sogar millionenfach, dafür sorgt, dass sich Embryonen nicht in die Gebärmutter einnisten können, sondern abgehen. Wir erlauben die Pille danach. Wir erlauben die Abtreibung nach Paragraph 218. Da ist es zulässig, aber wenn Menschen in hoher Not sind, ist die PID nicht erlaubt? Das wäre für mich kein Rechtsstaat, der das verbieten würde", sagt Hintze sichtlich emotional bewegt.

Gefühle gegenüber einer Zygote?

Dem widerspricht der Heidelberger Theologe Wilfried Härle. Der evangelische Systematiker war langjähriger Vorsitzender der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD und von 2002 bis 2005 Mitglied der Enquete-Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin. Härle weist darauf hin, dass es zwischen dem Paragraphen 218 und der PID zumindest juristisch fundamentale Unterschiede gebe. Denn bei der Abtreibung gehe es um den Konflikt zwischen dem Leben des Embryos oder des Fötus und dem Leben oder der Gesundheit der Frau.

"Nur der Konflikt Leben gegen Leben erlaubt es das Schlimmste zu tun, was möglich ist, nämlich ein menschliches Leben zu töten. Die Situation von PID ist völlig anders. Hier besteht keine Spannung, hier besteht kein Konflikt", sagt der Theologe. Wilfried Härle fordert den unbedingten Schutz des menschlichen Embryos vom Beginn der Befruchtung an, also wenn männliche Samenzelle und weibliches Ei zusammen einen neuen Zellkern bilden, die so genannte Zygote.

Peter Hintze hat dafür allerdings kein Verständnis. Ein Zellhaufen in der Petrischale sei zwar menschliches Leben, aber kein Mensch im vollgültigen Sinne. "Wann ist das menschliche Wesen Person vor Gott? In der lateinischen Sprache sprechen wir vom Individuum. Individuum heißt übersetzt unteilbar. Die Zygote in der Glasschale ist aber noch teilbar. Wenn ein Kind stirbt, dann löst das in uns eine entsetzliche Trauer aus. Ich glaube nicht, das irgendein Mensch dieses Gefühl einer Zygote in der Petrischale gegenüber hat. Wir spüren doch als Menschen den qualitativen Unterschied", argumentiert Hintze.

"Menschliches Leben" oder "Leben eines Menschen"

Auch der evangelische Theologe Reiner Anselm, Inhaber des Lehrstuhls für Ethik in Göttingen, plädiert für eine Unterscheidung zwischen befruchteter und eingenisteter Eizelle. Denn die Potentialität allein reiche nicht aus, schon ein Mensch zu sein geschweige denn zu werden. Insofern könne man auch schlecht von einer Gleichwertigkeit sprechen. "Kinder müssen zunächst mal von Müttern geboren werden. Wir müssen präziser unterscheiden zwischen menschlichem Leben und dem Leben eines Menschen", sagt Anselm.

Die Berliner Medizinerin und stellvertretende Vorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung, Jeanne Nicklas-Faust, widerspricht vehement. Menschliches Leben sei von Anfang an schützenswert. Ab welchem Stadium solle man denn sonst die Grenze ziehen? Sie plädiert für ein Verbot der PID. Denn durch dieses Diagnoseverfahren werde menschliches Leben zu einer Ware, die man bei Bedarf aussortieren könne. Die Präimplantationsdiagnostik diene allein der Selektion. "PID provoziert die Unterscheidung zwischen lebenswerten und lebensunwertem Leben", warnt die Lehrstuhlinhaberin für medizinische Grundlagen der Pflege an der Evangelischen Fachhochschule Berlin.

Behindertes Kind hat Recht auf Leben und Würde

Jeanne Nicklas-Faust ist selbst Mutter einer von Geburt an schwer behinderten Tochter. Schon heute müsse sie sich manchmal in der Öffentlichkeit dafür rechtfertigen, warum gerade sie als Ärztin das nicht habe verhindern können. Dabei habe doch auch ihre Tochter ein Recht auf Leben und Würde. Zudem sei die PID eine Untersuchungsmethode und kein Heilverfahren.

Vielen Paaren würden falsche Hoffnungen gemacht. So liege die Schwangerschaftsrate aus PID bei gerade einmal 30 Prozent. "Von 100 Paaren werden also 70 auch nach mehreren Versuchen mit PID kein Kind haben. Von den 30 Paaren, die ein Kind bekommen, haben 10 Frühchen oder Zwillinge und drei weitere haben Kinder mit Behinderungen, zum Teil schwere, die allein auf die künstliche Befruchtung zurückzuführen sind", rechnet sie vor. Zudem wisse man bislang noch gar nichts über die Langzeitfolgen für PID-Kinder. Die Argumente für oder gegen die PID sind gewichtig. Es wird wohl nicht nur in den Kirchen weiterhin eine engagierte Debatte darum geführt werden müssen. 


Thomas Klatt ist freier Journalist in Berlin