Schon als er unter großem Beifall ins Parlament kam, strahlte US-Präsident Barack Obama Selbstbewusstsein und Zuversicht aus. Auf dem Weg zum Podium scherzte er mit Spalier stehenden Politikern, stoppte sogar für kleine Schwätzchen. Der Präsident ließ sich nicht anmerken, dass er erstmals in seiner Amtszeit quasi Feindesgebiet betrat - einen Kongress, in dem neuerdings mehr Republikaner als Demokraten sitzen. Obama hat nach politischen Erfolgen in jüngster Zeit und steigenden Umfragewerten Rückenwind - und das zeigte sich bei seinem Auftritt am Dienstag auf dem Washingtoner Kapitol.
Obamas visionäre Rede zur Lage der Nation
Ganz anders als 2010, als er nach einem harten ersten Amtsjahr müde und schon ein wenig desillusioniert wirkte, gab sich der Präsident in seiner Rede zur Lage der Nation visionär und bestimmend. Es gehe ihm an diesem Abend um nichts weniger als die Rettung der Nation, machte er den Abgeordneten und Senatoren und zig Millionen Menschen an der Fernsehschirmen klar. Er bemühte sich, ein inspirierendes Bild zu zeichnen, wie Amerika besser sein könne als der Rest der Welt - von der Wirtschaft über Forschung bis zur Infrastruktur. Das war Balsam für alle patriotischen Seelen.
Doch wenn es an die Details ging, blieb Obama eher wortkarg. Hatte er 2010 noch eine lange Liste mit teuren Gesetzesvorhaben in den Kongress mitgebracht, blieb er diesmal vage, wie das Land die von ihm skizzierten hehren Ziele denn erreichen soll. Warum liegt auf der Hand: Obama weiß genau, dass seine Investitionsvorschläge mit den Republikanern kaum umzusetzen sind. Die Konservativen wollen das 14-Billionen-Dollar-Defizit der USA mit aller Kraft verringern - und sie können jedes Gesetz blockieren, das diesem Ziel entgegensteht.
So nutzte Obama seine Rede vor allem, um die Opposition in die Pflicht zu nehmen. Sie haben die Wahl gewonnen, also haben sie jetzt auch die Verantwortung, gab er ihnen klar zu verstehen. "Wir werden uns zusammen vorwärtsbewegen oder überhaupt nicht", warnte er die Republikaner. Nein-Sager und Blockierer sorgten nur dafür, dass mutige Länder wie China, Indien oder Südkorea die USA abhängten. "Auf dem Spiel steht, ob wir die Führungsrolle behalten, die Amerika nicht nur zu einem Ort auf der Landkarte gemacht haben, sondern zu einem Licht für die Welt."
"Der Sputnik-Moment unserer Generation"
Statt sich als "Professor-in-Chief" in Einzelheiten zu verstricken, was Kommentatoren ihm nach manch komplizierter Rede spöttisch vorwarfen, war Obama wieder der große Kommunikator aus Wahlkampfzeiten. Ganz tief griff er dazu in die Kiste mit amerikanischen Leitmotiven. Sprach von Opfern, die jede Generation bringen musste, um Amerika zu dem zu machen, was es ist. Von den großen Errungenschaften - von der Eisenbahn bis zum Internet.
In einem Höhepunkt der Rede erinnert er an den Wettbewerb mit den damaligen Sowjets in der Raumfahrt, die mit ihrem "Sputnik"-Satelliten zunächst vorne gelegen hatten, bis die USA sie überholten und einen Mann auf den Mond schickten. Das Geheimnis: Eine Welle der Innovation, und die müsse heute wieder entfesselt werden. "Dies ist der Sputnik-Moment unserer Generation." Da rührten auch die Republikaner eifrig die Hände.
"Mission Wiederwahl" hat begonnen
Ziemlich abgehoben sei die Rede gewesen, meinte ein TV-Kommentator in einer ersten Analyse. Sie habe schon sehr nach Wahlkampf gerochen - bei aller Konzilianz im Ton. Tatsächlich hat für Obama die "Mission Wiederwahl" längst begonnen, nicht umsonst bereiten zahlreiche Top-Berater aus dem Weißen Haus gerade ihren Wechsel ins Wahlkampfteam in Chicago vor.
Schon vor der Rede schrieben Experten, dass er mit der Rede seine Chance nutzen müsse, um möglichst früh wichtige Wählergruppen auf seine Seite zu ziehen. So köderte er denn auch seine Basis, die linken Wähler, mit der Forderung nach Steuererhöhungen für die Reichen, dem Abbau von Subventionen für die Ölindustrie und der Verheißung von sauberem Strom für 80 Prozent der Amerikaner bis 2035.
Doch vor allem rückte sich Obama mit seiner Rede für die politische Mitte ins rechte Licht. Obama, der lange hart mit großen Unternehmen und der Wall Street ins Gericht ging, erfindet sich als Wirtschaftspräsident neu. Unternehmenssteuern wolle er senken, die Bedingungen vor allem für moderne Industrien verbessern. "Wir müssen Amerika zum besten Ort auf der Erde machen, um Geschäfte zu betreiben", sagt Obama. Da war es auch für seine politischen Gegner schwer, zu widersprechen.