Öko-Islam: Wie grün sind die Muslime?
Die Umweltbewegung der 70er und 80er Jahre ist auch aus christlicher Tradition erwachsen. Im Islam fehlt eine breite Umweltbewegung bis heute, obwohl der Koran durchaus Hinweise auf umweltgerechtes Verhalten liefert.
25.01.2011
Von Thomas Klatt

Sonntag Nachmittag in der Berlin-Kreuzberger DITIB-Moschee in der Wiener Straße. Zehn verschleierte Frauen mit einigen Kindern und einem alten Mann sitzen im Hinterhofvortragsraum und lauschen einem Vortrag, wie sie ihn hier noch nie gehört haben. Die junge Studentin Yasemin Aydemir vom Ye?il Çember, dem Grünen Kreis beim Naturschutzbund Deutschland Nabu, gibt Tipps zum Energiesparen. Doch zunächst geht sie auf den eigenen Glauben ein. "Der Prophet hatte wenig Kleidung. Dass wir heute im Überfluß leben, ist nicht gut. Zum Beispiel gehen wir zu H&M und kaufen für vier Euro ein T-Shirt und wissen nicht, wo und wie das produziert wurde. Der Prophet sagt, dass wir bei der rituellen Waschung das Wasser nicht verschwenden sollen. Wir müssen Tiere mit Respekt behandeln und Fleisch nur mit Maßen verzehren", trägt Aydemir in fließendem Türkisch vor.

Gerade in vielen muslimischen Haushalten gelte in Punkto Fleischverzehr vor allem die Maxime: viel und billig! Bei überdurchschnittlich vielen türkischen und arabischen Kindern und Jugendlichen ist Übergewichtigkeit mittlerweile ein Dauerproblem. Vor fünf Jahren wurde Ye?il Çember gegründet. Heute sind es schon mehr als ein Dutzend Aktivistinnen, die unermüdlich etwa auf bewussten, reduzierten und möglichst ökologischen Fleischkonsum hinweisen. In der Regel geht es in ihren Vorträgen um zwei Punkte: Erstens, der Koran und die Lehre des Islams verlangen einen achtsamen Umgang mit der Natur, und zweitens, spart das auch noch jede Menge Geld. Die Frauen im Kreis sind beeindruckt. Bisher haben sie in ihrer Moschee kaum etwas vom Umweltschutz gehört. Bei der Freitagspredigt sei es nur ein Mal ein Thema gewesen, erinnern sich die Zuhörerinnen.

Ökologisches Bewusstsein

Diese Begegnung könnte man als symptomatisch für das Verhältnis von Umweltschutz und Islam bezeichnen. Denn in den Moscheen sucht man so etwas wie ein breites ökologisches Bewusstsein bislang vergebens. Erstaunlich ist, dass bereits Ende der 1970er Jahre in den christlichen Kirchen eine breite Umweltbewegung entstand, die unter anderem auch zur Gründung der Partei "Die Grünen" führte. "Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung" waren in den 1980er Jahren die Schlagworte fast jeder Predigt und des theologischen Denkens. Doch die über vier Millionen Muslime in Deutschland scheinen davon fast völlig unberührt zu sein.

Dabei ließen sich im Koran und und in den Hadithen, den gesammelten Sprüchen des Propheten Mohammed, durchaus theologische Impulse dafür finden. "Das wissen die meisten Muslime nicht, das erste, was Mohammed in Medina gemacht hatte, war, dass er sie zu einer Sperrzone machte. Man darf dort nicht jagen, man darf keine Bäume schneiden", weiß der Biologe Abdul Naser Al-Masri aus Hannover. Der Mensch gilt im Islam als Stellvertreter Gottes. Er ist also sein Kalif, sein Hüter der Schöpfung. Als Ideal der Schöpfung gilt im Islam bis heute das Paradies, nicht etwa als naturbelassener Urwald, sondern als Garten, altpersisch Para-daeza.

Gut 130 Mal wird das göttliche Paradies als Verheißung für den gläubigen Muslim im Koran erwähnt. In manchen Suren wird sogar von vier Paradiesgärten gesprochen, oder eben von vier Paradiesflüssen, die das Paradies unterteilen. Eine göttliche Landschaftsarchitektur! Das arabische Haus gilt letztlich als Kopie dieses Paradiesgartens. Eine Außenmauer schützt vor der lebensfeindlichen und wasserarmen Außenwelt. In der Mitte des Hofes entspringt der Brunnen und ergießt sich in einen blühenden Innenhofgarten. Vielleicht ist aber gerade auch diese Paradiesvorstellung ein Grund dafür, dass Muslime in ihrem Privatbereich oftmals auf penibelste Sauberkeit und geradezu himmlische Ordnung bedacht sind, vor der Haustür sich aber meist weniger um den Schutz der Umwelt scheren. Auch die Rechtsgelehrten und islamischen Rechtsschulen würden sich kaum um Umwelt-Probleme kümmern. Öko-Fatwas suche man weltweit vergebens. Dabei stehen die Glaubensquellen des Islams dem im Grunde entgegen, empört sich der Biologe Abdul Naser Al Masri.

Umdenken nötig?

Braucht es also angesichts der weltweiten Klimaproblematik ein radikales Umdenken im Islam? Braucht es eine Art neuen "Öko-Islam" für die rund 1,5 Milliarden Muslime weltweit? Es gibt bereits erste Ansätze für ein neues Umweltdenken in muslimischen Kreisen. So wurde in Singapur im Mai 2009 die erste "grüne Moschee" eingeweiht. "Die hat eine Solaranlage, um Wasser für die Gebetswaschungen zu erwärmen. Es gibt Solarschläuche, um Sonnenlicht zu konzentrieren und in den Innenraum zu führen. Es gibt ein Gartendach, Bewegungsmelder für Licht, wassersparende Systeme in den Sanitäranlagen, eine grüne Wand mit Pflanzen, damit im Gebetsraum angenehme Ruhe herrscht", schwärmt der Aachener Politologe Mounir Azzaoui, der die Idee der "Grünen Moschee" weltweit untersucht hat. Ähnliche Projekte gibt es auch in Großbritannien und den USA.

Auch für Deutschland sieht der Aachener Politologe Mounir Azzaoui gerade in den rund 2.500 Moscheen enormes Potential für eine ökologische Neubesinnung. Die Imame könnten zu Multiplikatoren einer breiten islamischen Umwelterziehung werden. Doch die Realität sieht in der Regel anders aus. "Die 50-60jährigen in den Moscheen machen sich wenig Gedanken darüber, was mit den Enkelkindern passiert. Es gibt keine Visionen und das lähmt uns", beklagt Azzaoui. Ähnlich der Vorbilder im Ausland bräuchten die Muslime in Deutschland Mut für neue Moscheemodelle, ohne Minarette und dafür mit mehr Solarmodulen. Einfach nur das alte aus der Heimat kopieren sei wenig hilfreich. Es fehle so etwas wie eine islamische Debatten-Kultur. Ein muslimischer Öko-Kirchentag zum Beispiel täte Not, regt Azzaoui an.

Religiöse Grundlagen des Umweltschutzes

Eine Reihe kleinerer Umweltgruppen wie die Berliner Ye?il Çember versucht allerdings seit Jahren, die Gläubigen auf die religiösen Grundlagen des Umweltschutzes aufmerksam zu machen. Sie drängen darauf, dass es angesichts der globalen Klimaprobleme nicht reicht, allein fünf mal am Tag zu beten und die Fastenzeit einzuhalten, um ein gottgefälliger Muslim zu sein.

Immerhin habe es im Umkreis der Berliner DITIB-Moschee schon vorab eine Ausbildung von interessierten Frauen zu Haushaltsberaterinnen gegeben. Ein erstes Hoffnungszeichen, meint die junge Öko-Aktivistin Yasemin Aydemir. Aber dass Muslime sich konkret für den Umweltschutz einsetzten, sei leider immer noch ein sehr seltenes Phänomen. Das liege aber auch daran, dass sich die großen Verbände wie greenpeace, Nabu, BUND oder WWF bisher kaum um diese Zielgruppe gekümmert hätten. Man hätte zu lange gewartet, gerade auch Migranten auf die Umweltproblematik hin anzusprechen und zu mobilisieren. Und es sei vor allem verpasst worden, dieses Anliegen mit der Religion zu verknüpfen, vermutet Yasemin Aydemir.

Medientipp: So., 30. 01. 2011, rbb-Kulturradio, Gott und die Welt, 9:04-9:30 Uhr, Hüter der Schöpfung, Wie grün sind die Muslime, von Thomas Klatt


Thomas Klatt ist freier Journalist in Berlin