Wem erschiene die Aussicht auf den ersten Blick nicht verlockend: wenn man niedergeschlagen ist, quasi auf Knopfdruck fröhlich werden zu können, für Prüfungen oder berufliche Herausforderungen punktgenau seine Konzentration und Kreativität zu steigern, Grenzen der eigenen geistigen Leistungsfähigkeit zu überwinden und etwa das bislang löchrige Gedächtnis unfehlbar zu machen?
Derartige Verheißungen schwingen bei einem Phänomen mit, das immer wieder durch die Schlagzeilen geistert: "Neuro-Enhancement" verspricht, die Fähigkeiten des Gehirns zu erweitern und den Geist zu optimieren. Etwa durch chemische Substanzen ("Gehirndoping") - einen Vorgeschmack geben bereits heute Mittel wie Ritalin, die als Medikament für bestimmte Erkrankungen zugelassen sind, mitunter aber auch von Gesunden zur Konzentrationssteigerung genommen werden. Für die fernere Zukunft denken Visionäre zudem an technische, zu implantierende Gehirnerweiterungen, ähnlich wie man eine Speichererweiterung in den Computer steckt.
Lohnende Vision oder Medienhype?
Zumindest die pharmakologische Variante des Neuro-Enhancements war auch Gegenstand eines vielbeachteten Memorandums Ende 2009. Neuro-Experten sprachen sich darin für eine Debatte, vor allem aber für Aufgeschlossenheit aus: "Wir vertreten die Ansicht, dass es keine überzeugenden grundsätzlichen Einwände gegen eine pharmazeutische Verbesserung des Gehirns oder der Psyche gibt", hieß es da. Das Neuro-Enhancement müsse aus der "gesellschaftlichen 'Schmuddelecke'" herausgeholt und etwa vom "fraglos betrügerischen" Doping im Leistungssport abgegrenzt werden, allein schon, um eine systematische Erforschung zu ermöglichen.
[listbox:title=Mehr im Netz[Memorandum "Das optimierte Gehirn"##Wenn Pillen dieLeistungsfähigkeitimJob sichern##]]
Sollen wir den Menschen also verbessern? Diese Frage hat sich am vergangenen Wochenende die Evangelische Akademie im Rheinland in Bonn vorgenommen, als diesjähriges Thema des jährlichen "Forums Neuroethik". Dabei sorgten die eingeladenen Experten allerdings für einige Ernüchterung, noch bevor die ethische Diskussion überhaupt beginnen konnte.
Wettrennen um Forschungsgelder
Über technische Erweiterungen sprach Rolf Eckmiller, dem man kaum Bedenkenträgerei oder fehlende Visionen vorhalten kann: Der Ingenieur und Neurowissenschaftler hat in den 90ern das bis heute nicht abgeschlossene Projekt in Angriff genommen, Blinden per Netzhautprothese das Augenlicht zurückzugeben. Aber auch wenn manche Sinnesorgane oder Gliedmaßen technisch halbwegs ersetzt werden können - Erweiterungsmodule fürs Gehirn scheinen weiterhin reichlich unrealistisch. Zu komplex sind geistige Vorgänge im Gehirn: "Wir wissen nicht einmal, wie Wahrnehmung funktioniert." Interesse an weit hergeholten Neuro-Enhancement-Visionen sieht Eckmiller dementsprechend vor allem bei Forschern, die im Wettrennen um Fördergelder Aufmerksamkeit erzielen müssen.
Die Diskussion um Neuro-Enhancement also vor allem ein PR-Coup interessierter Forscher? In diese Richtung argumentierte auch der Zürcher Pharmakopsychologe Boris Quednow. Dem Eindruck, Gehirndoping durch Pillen sei bereits heute eine verbreitete Mode und werde unsere Gesellschaft gründlich verändern, setzte der Drogenforscher nüchterne Resultate entgegen: Seriöse, neue Studien zeigten, dass die Nutzung etwa von Ritalin oder dem zweiten erhältlichen, von vielen als "Neuro-Enhancer" gesehenen Wirkstoff Modafinil durch Gesunde tatsächlich gering und zudem rückläufig sei. Zudem hätte sich immer wieder gezeigt, dass derartige Substanzen nur bei niedriger Ausgangsleistung reale Verbesserungen bewirkten: So profitierten zwar Müde von dem Stimulantium Modafinil, ausgeschlafene gesunde Menschen dagegen kaum.
"Schlaf ist der beste Neuro-Enhancer"
"Schlaf ist der beste Neuro-Enhancer", war deshalb Quednows Fazit. Dass die Leistung eines normal funktionsfähigen Gehirns deutlich und vor allem ohne gravierende Nebenwirkungen gesteigert werden könnte, hält er grundsätzlich für unwahrscheinlich. Gehirndoping sei deshalb im Wesentlichen ein Medienphänomen - und die ethische Fragestellung entsprechend hypothetisch: "Neuro-Enhancement könnte ein ethisches Problem sein - wenn es denn funktionieren würde."
Wenn eine funktionierende, sichere Verbesserung auch unwahrscheinlich erscheint - die Frage, ob man denn sollte oder nicht, war natürlich trotzdem auch Thema der Akademietagung. Letztlich gebe es eine Analogie zwischen der Frage "Glauben wir daran, den Menschen technisch verbessern zu können?" und religiösen Glaubensfragen, meinte der Neuropsychologe und Theologe Christian Hoppe. Alle diese Fragen hätten nämlich eine sehr konkrete Konsequenz: In das, woran man glaube, investiere man - nur so bekämen Zukunftsszenarien eine Chance, Wirklichkeit zu werden.
Den Menschen der Technik anpassen oder umgekehrt?
In ähnliche Richtung entwickelte Akademieleiter Frank Vogelsang die Ausgangsfrage: Welche Bilder von gelingendem Leben leiten uns? Sind es wirklich die neueste Technik und das himmelstürmerische Streben nach immer höheren Leistungen, die uns dem Glück am nächsten bringen? Aus der christlicher Sicht, so Vogelsangs Argument, hingen Sinn und Erfüllung doch an ganz anderen Faktoren: Die "entscheidende Bewegungsrichtung", spätestens seitdem Gott in Jesus Christus Mensch wurde, sei "hin zum Niedrigen, Schwachen, Kranken, Unscheinbaren". Derartige Hinwendung verspreche wirkliches Glück.
Auch der Theologe und langjährige Klinikseelsorger Ulrich Eibach verwahrte sich gegen Machbarkeitsfantasien. "Soll sich der Mensch per Optimierung den Erfordernissen der technischen Zivilisation anpassen, oder wollen wir nicht lieber umgekehrt eine dem Menschen angepasste technische Zivilisation?", lautete seine provokante Frage. Sein Plädoyer: Der Mensch solle seine natürlichen Grenzen anerkennen und manipulierende Eingriffe auch künftig auf die Linderung von Leid, also auf Kranke beschränken.
Die Freiheit des Einzelnen
"Sie setzen in alledem ein eindeutig christliches Menschen- und Weltbild voraus", hielt der Münsteraner Medizinethiker Edgar Dahl dagegen, der einzige erklärte Fortschrittsoptimist unter den Referenten der Tagung. In einer pluralistischen Gesellschaft dürfe aber nichts dergleichen zur Norm erklärt werden. Überhaupt müssten mündige Bürger nicht vor sich selbst, sondern nur vor Einschränkungen ihrer Freiheit beschützt werden. Befürchtungen, dass sich etwa Menschen angesichts ernsthafter Lebensprobleme mit einer "happy pill" betäuben könnten, hält Dahl für "schwer vorstellbar" - er sieht für derartige Produkte "eher die Rolle eines edlen Tropfens, den man sich nur zu besonderen Gelegenheiten gönnt".
Erwartungsgemäß stand somit keine allgemeingültige Antwort auf die Frage "Sollen wir den Menschen verbessern?" am Ende der Akademietagung in Bonn. Immerhin wurde aber deutlich, dass diese Frage letztlich nur eine weitere Spielart der Problematik darstellt, die hinter so vielen bioethischen Debatten unserer Zeit steckt: Welchem Welt- und Menschenbild hängen wir an, und welche Rolle kommt dem Staat in moralischen Fragen zu?
Ulrich Pontes ist freier Journalist in Mainz und interessiert sich besonders für Themen im Grenzbereich von Wissenschaft, Gesellschaft und Glaube.