Konfirmanden begegnen Gott in der Kunst
Gespräche über Religion führen, will das Frankfurter Museum Städel mit Konfirmanden. Einmal im Jahr sind beim Konfirmandentag eingeladen, Gott in der Kunst zu begegnen.
24.01.2011
Von Andrea Pollmeier

Samstag früh, noch bevor der Flohmarkt am Main seine Stände öffnet, zieht eine Schar Jugendlicher vom Frankfurter Bahnhof her über den Holbeinsteg. Ihr Ziel ist das Städel Museum und dort vor allem die Werke, auf denen Jesus, die Madonna und andere biblische Szenen zu sehen sind. Am Städeleingang wartet schon David Schnell, seit 2007 Evangelischer Stadtkirchenpfarrer am Museumsufer Frankfurt. Vor zwei Jahren hatte er die Idee, Konfirmanden ins Städel einzuladen, um Gespräche über Religion an kostbaren Kunstwerken anschaulich zu machen.

Bereits zum vierten Mal hat das Museum zusammen mit dem Evangelischen Pfarramt für Stadtkirchenarbeit am Museumsufer und der Stiftung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN Stiftung) die 13- und14 Jahre alten Konfirmanden eingeladen. "Wenn wir das Datum für den Konfirmandentag bekannt geben, sind die rund 80 Plätze innerhalb einer Stunde ausgebucht", berichtet Chantal Eschenfelder, die den Bereich Bildung und Vermittlung im Städel Museum und der Liebieghaus Skulpturensammlung leitet.

Neunzig Jugendliche sind an diesem kühlen Samstag per Bus und S-Bahn aus der Region nach Frankfurt gereist. Gemeindepfarrerin Ellen Schneider-Oelkers hat ihre Gruppe aus Rüsselsheim-Bauchheim zum Städel geführt; Pfarrer Konrad Schulz kommt mit seinen Konfirmanden aus Karben-Rendel. Viele betreten die Räume der Gemäldesammlung zum ersten Mal.

Bibelkenntnisse helfen weiter

Hier beginnt für die Jugendlichen die eigentliche Reise. Sie führt mit Hilfe von 300 Werken der Städel-Sammlung über eine chronologisch gestaltete Zeitachse gleich 700 Jahre zurück ins 14. Jahrhundert. "Unwiederbringliche Originale umgeben Euch", erklärt Chantal Eschenfelder ihren jungen Zuhörern. Wegen der Umbauphase des Städel hängen die kostbaren Werke zurzeit Rahmen an Rahmen dicht nebeneinander. Keine Beschilderung gibt Orientierung. Nur der Zeitstrahl unterhalb der Decke hilft, sich in den Jahrhunderten zu Recht zu finden.

Gute Bibelkenntnisse helfen ebenfalls weiter. Besonders, so die Museumspädagogin, im 14. Jahrhundert, als die Kunst noch stark durch religiöse Themen geprägt wurde. In den Werken dieser Zeit falle beispielsweise eine weibliche, blau gekleidete Figur immer wieder ins Auge. Wer sich in den biblischen Geschichten auskennt, sieht: diese Gestalt muss Maria sein. "Maria war als Mutter Gottes die wichtigste Gestalt der religiösen Verehrung und wurde immer im blauen Gewand dargestellt", erklärt die Pädagogin. Die Konfirmanden stehen vor der mittelalterlichen Darstellung einer Kreuzigung. Maria ist umgeben von vielen Figuren, zu denen Johannes, Maria Magdalena, Soldaten und zuschauendes Volk gehören.

Künstlerische Stilmittel

Die Wahrnehmungsbereitschaft der jungen Konfirmanden ist kontinuierlich herausgefordert.
Einen Raum und drei Jahrhunderte weiter treffen die jungen Besucher auf ein Werk, dass zu den bedeutendsten Bildern der Gemäldesammlung zählt: Rembrandts "Die Blendung Simsons" (1636). Die kraftvolle Wirkung dieses 2,72 Meter breiten Gemäldes lässt auch das Kinobilder gewohnte Auge nicht unberührt. Komposition und Lichtdramaturgie fordern den Betrachter heraus, lenken den Blick auf den Dolch, der soeben in das Auge des am Boden liegenden Simson sticht.

Pfarrer Schnell und Chantal Eschenfelder haben die Konfirmanden jedoch nicht in diesen Raum geführt, um ihnen die besonders kostbare Variante einer grausamen Schreckensdarstellung vorzustellen. Vor Rembrandts monumentalem Werk sprechen sie nicht nur über künstlerische Stilmittel und die Weise, wie Licht und Schatten oder die Linienführung das bildnerische Werk bestimmen. In ihren kurzen Erläuterungen sprechen sie auch über die inhaltlichen Impulse, die von diesem Werk ausgehen. Dies zeigt sich beispielsweise an Delila, der Frauengestalt in diesem Werk. Rembrandt malt sie, während sie auf das grausame Geschehen zurück blickt. Noch hat sie die Schere in der Hand, mit der sie Simson die Haare abschnitt und ihn, so die biblische Überlieferung, verwundbar machte. Ihr Gesichtsausdruck wirkt nicht erleichtert sondern zweifelnd. Der Blick zurück verweist auf die Verantwortung, die jeder Täter für sein Handeln übernimmt.

Tod und Auferstehung

Wie stark Fragen über den Ursprung und Sinn menschlichen Handelns in künstlerische Werke Eingang gefunden haben, erfahren die Konfirmanden an diesem Besuchstag im Städel Museum und in der Liebieghaus Skulpturensammlung an unterschiedlichsten Beispielen. Themen wie Tod und Auferstehung, die Darstellung von Alltag und Familie oder von Sinnfragen der menschlichen Existenz haben durch die Jahrhunderte hindurch auf unterschiedlichste Weise künstlerischen Ausdruck gefunden. Wer dem Zeitstrahl an der Städelwand folgt, begreift immer deutlicher, wie gut dieser Ort dazu geeignet ist, sich mit religiösen Themen und existenziellen Fragestellungen auseinanderzusetzen. In einzelnen Arbeitsgruppen entdecken die Konfirmanden diese Welt der Kunst nach dem ersten geführten Rundgang auch auf eigene Faust.

Es ist erstaunlich, dass dieses bundesweit einmalige Projekt nicht schon zum festen Bestandteil der Religionspädagogik zählt. Denn auf einen Streich wird historisches Wissen gefestigt, werden Bibelkenntnisse als Deutungshilfe für Bilder aktiviert und die Symbolik christlich geprägter Bildästhetik lesen gelernt. Außerdem begegnen die heranwachsenden Konfirmanden im Kontext unterschiedlicher Gesellschaftsphasen moralischen Überlegungen, die oft keine einfachen Antworten erlauben.

Internet: www.staedelmuseum.de


Andrea Pollmeier ist freie Journalistin in Frankfurt am Main