Massentierhaltung: "Beschämend für unsere Gesellschaft"
Biologen, Volkswirtschaftler, Philosophen - mehr als 400 Professoren setzen sich gemeinsam für mehr Ethik in der Landwirtschaft ein. Im Zentrum steht dabei die Massentierhaltung, in Zeiten des Dioxin-Skandals Reizthema: Die Wissenschaftler haben schon 20.000 Unterschriften gesammelt.
21.01.2011
Von Miriam Bunjes

Zehntausend Menschen sind am Samstag in Berlin auf die Straße gegangen, um gegen Massentierhaltung zu protestieren. Angeführt von etwa 80 Traktoren zogen sie durch das Regierungsviertel zum Brandenburger Tor, wo am Nachmittag eine Abschlusskundgebung begann. Anschließend steht dort ein "Konzert für eine gentechnikfreie Welt" auf dem Programm, zu dem auch die frühere Landwirtschaftsministerin Renate Künast (Grüne) erwartet wird.

Der Protestmarsch stand unter dem Motto "Wir haben es satt! Nein zu Gentechnik, Tierfabriken und Dumping-Exporten". Mehr als 120 Organisationen hatten zu der Demonstration aufgerufen, darunter Landwirte, Tierschützer und Lebensmittelproduzenten. Die Veranstalter der Demonstration sprachen von 22.000 Teilnehmern, andere Beobachter gingen von rund 10.000 Menschen aus. Slogans wie "Blütenvielfalt statt Agrarwüsten" begleiteten die Demonstration, auch der aktuelle Dioxinskandal wurde immer wieder thematisiert. Essen ist ein Thema, das viele Menschen bewegt. Die Frage ist nur: Sind sie auch bereit, bewusster einzkaufen und für ethisch vertretbarere Nahrungsmittel mehr zu zahlen?

Massentierhaltung schlecht für Klima, Artenvielfalt und Arbeitsplätze

"Der aktuelle Dioxin-Skandal zeigt, wie teuer uns 'billige' Tierprodukte zu stehen kommen", sagt Sievert Lorenzen, Zoologie-Professor in Kiel. "Das ist ebenso erschütternd wie qualvolle Haltungsbedingungen oder Gefahren durch Antibiotika-resistente Krankheitserreger. Es ist höchste Zeit für ein Umdenken in der Agrarpolitik."

Lorenzen ist einer von 424 Professoren, die sich in einem Appell für den Ausstieg Deutschlands aus der Massentierhaltung einsetzen. "In der Massentierhaltung wird mit Tieren auf eine Weise umgegangen, die uns als Gesellschaft beschämen muss", heißt es in dem Aufruf. Unterzeichnet haben prominente Forscher wie der Theologe Eugen Drewermann, Literaturwissenschaftler Dieter Borchmeyer und Umweltethiker Konrad Ott - und inzwischen 20.000 Bürger.

"Das zeigt, dass das kein Randthema von Tierschützern und Veganern ist", sagt Mit-Initiatorin Friederike Schmitz von der Uni Heidelberg. "Das Thema geht alle verantwortungsbewussten Menschen an." Es gehe um mehr als das Leid der Tiere und um gesunde Ernährung. Die Massentierhaltung wirke sich negativ auf Klima, Artenvielfalt, Arbeitsplätze in ländlichen Regionen und die Existenzgrundlagen von Bauern in Entwicklungsländern aus. Auf der Homepage der Initiative erklären Wissenschaftler verschiedener Fächer die Hintergründe.

"Ethische Ansprüche stehen im Widerspruch zum Markt"

In dem Appell werden Bund, Länder und die EU aufgefordert, die Agrarsubventionen nach höheren Standards im Tier- und Umweltschutz auszurichten, die Überproduktion von Fleisch zu beenden und beim Fleisch die Haltungsbedingungen zu kennzeichnen - wie seit 2004 bei den Eiern, was zu einem Boom der Eier aus Freilandhaltung führte. Die Unterschriften werden im Februar Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) übergeben. "Sie lassen sich allein wegen der prominenten Forscherstimmen nicht ignorieren", sagt Schmitz.

[listbox:title=Mehr im Netz[Appell für den Ausstieg aus der Massentierhaltung##Protest gegen die deutsche Agrarpolitik##]]

Tatsächlich wird breiter Protest gegen die deutsche Agrarpolitik laut, wie die Demonstrationen in Berlin gegen Massentierhaltung und gegen Gentechnik zeigten. "Es protestieren nicht nur Biobauern, sondern auch viele konventionelle Landwirte", sagt Reinhild Benning vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND).

Das sieht auch Maren Heincke vom Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. "Viele Bauern leiden darunter, dass ihre ethischen Ansprüche gegenüber Tieren und Natur im Widerspruch zum Markt stehen", sagt die Agraringenieurin. Es dominiere die Fleischproduktion. "Es gibt jedoch in Deutschland nicht genug Fläche, um das Futter für die vielen Tiere anzubauen: 30 Millionen Hektar aus Übersee sind allein für Deutschlands Futtereiweiß besetzt", sagt Heincke. "Sie fehlen dort für den eigenen Anbau und zerstören Naturflächen und damit das Klima."

Produziert werde vor allem in Massenbetrieben, um so billig wie möglich zu sein. "Darauf sind auch die Subventionen ausgerichtet." Den Dioxin-Skandal sieht sie als Symptom einer Systemkrise. "Es ist ein Kriminalfall, der von der Billig-Ausrichtung bei der Futtermittelproduktion begünstigt wurde."

Ethik ist im Studium Randthema

Ethische Verantwortung hätten aber auch die Verbraucher: "Für Haustiere wird hier viel Geld ausgegeben. Unter welchen Bedingungen die Tiere gelebt haben, deren Fleisch wir für 1,99 Euro kaufen, wird kaum überdacht. Dabei sind Schweine und Kühe ebenso intelligent wie Hunde und Katzen - und so leidensfähig wie alle Wesen." Heincke rät, weniger Fleisch zu essen. "Mit 60 Kilo jährlich essen Deutsche mehr als das Doppelte der als gesund geltenden Menge."

Hühner mit dem Platzanspruch eines DIN-A4-Blatts, Schweine, deren Ringelschwänze abgeschnitten werden, damit sie sich nicht gegenseitig anfressen - "wenn das auf den Produkten steht, werden sie weniger gekauft", sagt Eve-Marie Engels, Professorin für Ethik in den Biowissenschaften in Tübingen. Auch sie unterstützt den Professoren-Appell, sieht aber auch Nachholbedarf an den Unis. "In den Bio- und Agrarwissenschaften ist Ethik noch immer ein Randthema." 

epd/dpa/han