Handwerk ohne Nachwuchs - eine Chance für Migranten?
Das deutsche Handwerk verlangt händeringend nach Azubis - und viele jugendliche Migranten brauchen dringend Berufsperspektiven. Zwei Ziele, die sich eigentlich gut vereinbaren lassen müssten. Eine Erfolgsgeschichte ist dennoch bislang nicht zu vermelden, denn angesetzt werden müsste viel früher.
19.01.2011
Von Lieselotte Wendl

"Bei uns zählt nicht, wo man herkommt. Sondern wo man hinwill." - Es klingt gut, was der Zentralverband des Deutschen Handwerks seiner "Integrationsforum" betitelten Tagung in dieser Woche als Motto vorangestellt hat. Der Verband, der 53 deutsche Handwerkskammern, 36 Zentralfachverbände des Handwerks sowie weitere wissenschaftliche und wirtschaftliche Einrichtungen der Branche vertritt, will mehr junge Menschen mit Migrationsgeschichte für einen Handwerksberuf interessieren.

Dabei ist das Handwerk bereits die Branche, die im Vergleich zu anderen einen überdurchschnittlich hohen Anteil an ausländischen Jugendlichen ausbildet: Immerhin 4,2 Prozent der Auszubildenden dort haben laut Integrationsatlas des Handwerks nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. In Industrie und Handel seien es dagegen nur 3,7, im öffentlichen Dienst sogar nur 1,7 Prozent. "Jeder fünfte Beschäftigte im Handwerk hat eine Migrationsgeschichte", verkündete Otto Kentzler, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) am 18. Januar beim Integrationsforum in Berlin.

Trotzdem müsse auf der anderen Seite auch festgehalten werden, dass seit 1993 ein rückläufiger Trend zu verzeichnen sei, so die Erhebungen für den Integrationsatlas. Waren es zu Beginn der 90er Jahre noch 56.000 ausländische Jugendliche, die in einem Handwerksbetrieb lernten, ist diese Zahl bis 2006 auf 23.000 zurückgegangen. Die zunehmende Zahl von Einbürgerungen allein kann dafür nicht verantwortlich gemacht werden.

Brachliegende Potenziale erschließen

Es klingt daher einleuchtend, wenn die Handwerksverbände davon sprechen, dass brachliegende Potenziale erschlossen werden müssten. Mit einer Imagekampagne, Beratungen, Lehrerfortbildungen und Besuchen von Unternehmen in den Schulen, die auch Praktika anbieten, wirbt das Handwerk um die jungen Migranten. Die Handwerkskammer in Koblenz etwa stellt in ihrem Projekt "HiM – Handwerk integriert Migranten" jungen Ausländern Betreuer zur Seite, die sie bei ihrer Ausbildung unterstützen. Auf der anderen Seite können auch Betriebsinhaber mit Migrationshintergrund auf muttersprachliche Unterstützung zählen, wenn sie einen Eignungsschein erwerben wollen, der sie befähigt, selbst auszubilden.

Die Statistiken zeigen allerdings, dass schon früher angesetzt werden muss, will man mehr junge Migranten in die Ausbildung bringen. Denn die Zahlen zur Schulbildung weisen bei jungen Ausländern und Jugendlichen mit nichtdeutschen Wurzeln eine alarmierende Entwicklung auf. Nach dem Integrationsbericht der Bundesregierung, der 2010 vorgelegt wurde, besuchten 2008 zum Beispiel 20 Prozent der ausländischen Jugendlichen eine Hauptschule, während es bei deutschen Jugendlichen nur 8,6 Prozent waren. Beim Gymnasiumsbesuch sind die Zahlen umgekehrt: 28,7 Prozent Deutsche gegenüber 13,4 Prozent Ausländern. Besonders hoch war der ausländische Anteil bei den Förderschülern mit 14,4 Prozent, obwohl ihr Anteil an der Gesamtschülerschaft nur bei 8,9 Prozent liegt.

Viele junge Migranten ohne Schulabschluss

"Nicht hinnehmbar" nennt die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, die Tatsache, dass allein 63.000 junge Menschen zwischen 15 und 19 Jahren mit einer Migrationsgeschichte im Jahr 2008 gar keinen Schulabschluss aufwiesen. Das sind 37 Prozent dieser Altersgruppe, obwohl der Migrantenanteil daran nur 23,6 Prozent beträgt. Ohne einen Schulabschluss aber sind die Chancen auf eine Ausbildung gering - auch im Handwerk. Denn auf die Ausbildungsreife der jungen Leute, so machte Handwerkspräsident Kentzler beim Berliner Integrationsforum deutlich, könnten die Ausbildungsbetriebe nicht verzichten.

Auf der anderen Seite zeigte sich Kentzler durchaus auch selbstkritisch: Die Handwerksbetriebe hätten erst lernen müssen, andere Wege zu gehen, wenn sie die Familien der Migranten erreichen wollten. "Raus aus den Kammern und rein in die Lebenswelten", müsse das Motto sein. So habe etwa die Handwerkskammer Dortmund eine spezielle Ausbildungsbörse für junge Migranten und ihre Eltern ins Leben gerufen.

Der Aufschwung der Konjunktur, den das Handwerk in diesem Jahr verzeichnet, könnte so auch eine positive Entwicklung für junge Ausländer und Migranten bringen. Der hessische Handwerkspräsident Bernd Ehinger etwa beklagt, die "stabile Aufwärtsentwicklung" der mehr as 70.000 hessischen Handwerksbetriebe werde dadurch beeinträchtigt, dass Arbeitsplätze und Lehrstellen unbesetzt bleiben müssten. Mehr Information über das Handwerk an den Schulen, wie er es fordert, könnte dann auch bedeuten: mehr Informationen speziell für Migranten.


Lieselotte Wendl arbeitet als freie Journalistin in Frankfurt.