Unwort des Jahres: Nur der Tod ist "alternativlos"
Das Unwort des Jahres 2010 ist "alternativlos". Zu Recht ein Unwort, meint Ursula Ott, Chefredakteurin von evangelisch.de und stellvertetende Chefredakteurin des Magazins chrismon.
19.01.2011
Von Ursula Ott

Eines der anrührendsten Bücher, die über das Thema Krebs erschienen sind, trägt den Titel "Leben wär' eine prima Alternative". Es stammt aus den Tagebüchern der DDR-Schriftstellerin Maxie Wander, und es ist 30 Jahre alt. Der Titel war seinerzeit deshalb so gut, weil er ein sprachliches Paradox ist. Weil der Tod das Einzige ist, zu dem es keine Alternative gibt. Sterben müssen wir alle, und wir dürfen leider auch nicht darüber abstimmen.

Heute würde der Buchtitel gar nicht mehr funktionieren, denn heute ist angeblich alles alternativlos. Dass wir die Griechen und den Euro und die Hypo Real Estate retten. Dass wir in Afghanistan Krieg führen. Dass die Mehrwertsteuer erhöht wird. Nur fünf von gefühlten 500 Malen aus den letzten Wochen, in denen Minister oder gleich die Bundeskanzlerin höchst persönlich den Hammer "alternativlos" fallen ließen. Und damit dem Volk klargemacht haben: Denken einstellen. Widerspruch zwecklos. Ende der Debatte. Oder, um ein Deppen-Synonym zu benutzen: "Is so!"

Is das echt so? Dann können wir uns auch das Theater mit den Wahlen sparen. Wozu Sonntag früh in diese rührende Wahlkabine gehen, in die Grundschule mit den Kritzeleien an der Wand und so tun, als spiele es eine Rolle, ob man Alternative A oder B auf dem gelben Zettel ankreuzt? Wenn das mit der Demokratie eh nur so eine Art Kinderquatsch war und die Großen permanent den Gesetzgebungsnotstand ausrufen? Oder meinen die das gar nicht so? Roland Koch zum Beispiel. Der sagte noch im Januar, der Regierungsstil von Angela Merkel sei alternativlos. Im Mai brach er dann die Zelte ab, nicht nur wegen des Regierungsstils der Kanzlerin, aber auch. Koch hat jetzt entdeckt, dass es ein "Leben jenseits der Politik" gibt.

Recht hat er. Das Leben bietet wirklich prima Alternativen. Erst am Ende werden wir nicht mehr gefragt. Aber bis dahin möchten wir gern auch wieder mitdenken dürfen über die eine oder andere Alternative. Sonst kriegen wir schlechte Laune, und das ist ganz schlecht für die Demokratie. Is so!


Der Text ist ursprünglich erschienen in der Rubrik "erledigt" in chrismon 7/2010.

 

Über die Autorin:

Ursula Ott, 45, ist stellvertretende Chefredakteurin von chrismon und Chefredakteurin von evangelisch.de. Sie hat auch eine Homepage: www.ursulaott.de.