Loveparade-Drama: Ermittler beschuldigen 16 Personen
Wie kam es zur Loveparade-Tragödie mit 21 Toten? Die Ermittler sind einen Schritt weiter. 16 Mitarbeiter von Stadt, Veranstalter und Polizei gelten nun als Beschuldigte. Ob sie auch angeklagt werden, ist aber noch offen. Unter den Beschuldigten sind offenbar weder Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) noch Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller.
18.01.2011
Von Helge Toben

"Warum?" war eine der drängendsten Fragen nach der Loveparade-Katastrophe vom vergangenen Juli in Duisburg. Einer Antwort sind die Ermittler nun offenbar einen Schritt näher gekommen. Ermittelten sie bislang "gegen Unbekannt", hat sich nun ein Anfangsverdacht gegen 16 Menschen verdichtet. Es sind Mitarbeiter und Beamte der Stadtverwaltung sowie vom Veranstalter Lopavent und der Polizei.

Seit Dienstag sind sie nun offiziell "Beschuldigte" wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung. Ausdrücklich nicht ausschließen wollte die Staatsanwaltschaft Duisburg in einer Mitteilung, dass der Kreis noch größer werden könnte. 21 junge Menschen waren am 24. Juli 2010 in einem Gedränge am Rande der Technoparade und in den Tagen danach an ihren Verletzungen gestorben. Mehrere hundert wurden verletzt und leiden teilweise immer noch unter den Folgen.

Kraftakt für die Wahrheit

Es war ein Kraftakt, der Wahrheit und den Toten geschuldet: In nur knapp sechs Monaten bewältigten knapp 90 Beamte, darunter vier Staatsanwälte, eine Mammutaufgabe. Sie vernahmen mehr als 2.200 Zeugen, sichteten Fotos, schauten Videos und werteten riesige Datenmengen aus. Die Arbeit ist allerdings noch nicht vorüber. Die Beschuldigten haben nun mehrere Wochen lang Gelegenheit, Stellung zu nehmen. Es folgen weitere Auswertungen. Entsprechend zurückhaltend ist die Anklagebehörde auch mit Prognosen: "Die Feststellung eines Anfangsverdachts bedeutet nicht zwingend, dass sich die Beschuldigten auch vor Gericht werden verantworten müssen", teilte die Behörde mit.

Erst die weiteren Ermittlungen würden zeigen, ob im Einzelfall Anklage erhoben oder das Verfahren eingestellt werde. Der Duisburger Oberstaatsanwalt Rolf Haferkamp wollte sich nicht festlegen, in welchem Zeitraum das passieren kann. Namen wurden nicht genannt. Nach dpa-Informationen aus Justizkreisen sind allerdings weder der Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) noch der McFit-Chef und Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller unter den Beschuldigten. Sauerland sagte laut einer Mitteilung, dass städtische Mitarbeiter keine Amtspflichten verletzt hätten. Er werde alles tun, um seine Kollegen in der Stadtverwaltung zu unterstützen.

Überlebende tragen schwer am Geschehenen

Unter den 16 sollen elf Mitarbeiter der Stadtverwaltung sein, vier von Lopavent und einer von der Polizei. Nach Informationen von "Spiegel Online" sind unter den Beschuldigten der Rechts- und der Stadtentwicklungsdezernent sowie die stellvertretende Leiterin des Ordnungsamtes und der sogenannte Crowd Manager von Lopavent sowie ein Leitender Polizeidirektor.

Die Überlebenden haben unterdessen weiter schwer mit dem Erlebten zu kämpfen. "Es ist bei allen noch sehr präsent", sagte der Ombudsmann der Landesregierung für die Opfer der Massenpanik, Wolfgang Riotte, am Montag. Er hatte kurz zuvor an einem Verletzten-Treffen mit mehr als 60 Menschen teilgenommen. Riotte berichtete von Schülern, deren Leistung seither stark eingebrochen sei. Manche hielten etwa ein Gedränge in der Straßenbahn nicht aus und verließen den Zug dann weit vor der Schule - die Folge sei Zuspätkommen. "Es werden noch einige Verletzte stationäre Hilfe in Anspruch nehmen, weil sie merken, dass sie alleine oder ambulant das Erlebte nicht verarbeiten können", sagte er.

Gegenseitige Schuldzuweisungen

Wer welche Verantwortung an dem Unglück trägt, ist derweil für Außenstehende völlig offen. In den Wochen nach der Katastrophe hatte die drei Hauptakteure - Stadt, Lopavent und Polizei - jeweils beteuert, alles richtig gemacht zu haben, und sich gegenseitig die Schuld zugewiesen. Im Zentrum der Kritik stand zeitweise Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU). Ihm wurde vor allem vorgeworfen, keine politische Verantwortung übernommen zu haben. Er blieb im Amt. Mehrere Dutzend Betroffene haben sich inzwischen Anwälte genommen, um Ansprüche etwa auf Schmerzensgeld geltend zu machen.

Am Unglücksort in Duisburg erinnert eine schlichte Bronzetafel an die Tragödie. In der Nähe ist als provisorische Gedenkstätte ein schwarzer, containerartiger Kubus mit einer Glasfront aufgestellt. In ihm werden Trauergaben aus dem Unglückstunnel wie Grablichter, Engelsfiguren oder Plüschtiere aufbewahrt. Eine dauerhafte Gedenkstätte ist geplant. Am kommenden Montag ist das Unglück genau ein halbes Jahr her.

dpa