Der 19. Januar 2007 war ein schwarzer Tag für die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei. Hrant Dink stand vor dem Verlagshaus der armenisch-türkischen Wochenzeitung "Agos" in Istanbul, als ihm sein Mörder mehrfach in den Kopf schoss. Der Chefredakteur, der kurz zuvor den Henri-Nannen-Preis für Pressefreiheit erhalten hatte, war sofort tot. Bis heute sind die Hintermänner der Tat nicht zur Verantwortung gezogen worden.
Dink, der Armenier und türkischer Staatsbürger war, hatte sich unter anderem dafür eingesetzt, dass das türkische Massaker an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs als Völkermord eingestuft wird. Mit der zweisprachigen Zeitung "Agos" wollte er den Dialog befördern. Doch auch nach seinem Tod ist das Thema heikel geblieben, eine gemeinsame Erinnerungskultur ist in der Türkei nicht kurzfristig zu erreichen.
Zugeständnisse der Regierung
Es gibt aber einige positive Veränderungen. So trafen sich am 24. April vergangenen Jahres zahlreiche Aktivisten auf Istanbuls zentralem Taksim-Platz, um an die Vernichtung des armenischen Volkes zu erinnern. Angst um ihr Leben mussten die Teilnehmer dabei nicht mehr haben, allenfalls vor juristischen Konsequenzen. Denn die regierende konservativ-islamische AKP hatte im Zuge der EU-Annäherung einige Zugeständnisse bei Meinungsfreiheit und Bürgerrechten gemacht.
Das stößt in einflussreichen Teilen der Gesellschaft, die noch heute an der kemalistischen Ideologie des Staatsgründers Atatürk festhalten, auf Widerstand. Der "tiefe Staat", ein Netzwerk aus Vertretern des Militärs, der Sicherheitskräfte, der Geheimdienste und der Justiz, lehnt ethnische, kulturelle oder religiöse Vielfalt ab. Er liefert sich, unterstützt vom organisierten Verbrechen, einen Machtkampf mit der AKP.
Machtkampf mit den Islamisten
Gegen den "tiefen Staat" wird inzwischen vor Gericht verhandelt. Seine Vertreter haben nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft mit Attentaten eine gezielte Destabilisierung des Landes verfolgt, um die regierende AKP zu stürzen. Neben Todeslisten mit den Namen religiöser Führer finden sich in all diesen Verfahren Querverweise auf den Fall Dink, die Morde an Missionaren im osttürkischen Malatya im April 2007 und den Mord an dem Priester Andrea Santoro in der Schwarzmeerstadt Trabzon im Februar 2006.
Im Prozess um die Ermordung von Hrant Dink fehlten allerdings politischer Wille und mutige Staatsanwälte, beklagt die Anwältin der Familie Dink, Fethiye Cetin. Der mutmaßliche Todesschütze wurde an ein Jugendgericht überstellt, weil er zur Tatzeit noch minderjährig war. Keiner der wirklichen Drahtzieher, so legt Cetin dar, keine staatliche Stelle, deren Mitwirkung, Unterlassung oder Vertuschung die Tat erst ermöglicht habe, werde dafür zur Verantwortung gezogen. Dabei hatte selbst Staatspräsident Abdullah Gül im Sommer 2010 festgestellt: "Hrant Dink verlor sein Leben, weil notwendige Maßnahmen nicht getroffen wurden."
Gericht verhängt Schmerzensgeld
Dies unterstreicht auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom September 2010. Der türkische Staat hat demnach das Recht auf Leben verletzt, weil er keine Maßnahmen zum Schutz Dinks ergriff. Außerdem habe die Türkei keine wirksamen Untersuchungen gegen Sicherheitskräfte eingeleitet, die von der unmittelbaren Gefahr für Dinks Leben Kenntnis hatten, stellten die Straßburger Richter fest. Sie verurteilten die türkische Regierung zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von mehr als 100.000 Euro.
Westliche Standards bei der Pressefreiheit scheinen für die Türkei einstweilen in weiter Ferne. Im aktuellen Ranking der Pressefreiheit von "Reporter ohne Grenzen" liegt das Land nur auf Rang 138 von insgesamt 178 Staaten. Ins Gewicht fielen dabei die Klagen gegen Journalisten sowie Verurteilungen von Medienmitarbeitern zu Gefängnisstrafen. Die Türkei gerate somit in unmittelbare Nachbarschaft zu Russland, stellte die Journalistenorganisation fest.