Erster Völkermord-Prozess zu Ruanda in Deutschland eröffnet
Voraussichtlich 45 Verhandlungstermine, 52 Zeugen und ein Angeklagter, der schweigt: In Frankfurt begann am Dienstag der Prozess gegen einen ehemaligen Bürgermeister aus Ruanda, der für Massaker an Tausenden seiner Landsleute verantwortlich gemacht wird.
18.01.2011
Von Elvira Treffinger

Er wurde in Handschellen hereingeführt: Seit Dienstag muss sich ein ehemaliger Bürgermeister aus Ruanda vor dem Frankfurter Oberlandesgericht wegen Völkermords verantworten. Die Generalbundesanwaltschaft wirft dem heute 54-jährigen Onesphore Rwabukombe vor, im April 1994 in Ruanda drei Massaker befehligt und koordiniert zu haben. Dabei starben mindestens 3.730 Angehörige der Tutsi-Minderheit, die in Kirchen Schutz gesucht hatten. Rwabukombe gehört zur Bevölkerungsgruppe der Hutu.

Der Angeklagte im violetten Hemd mit gestreifter Krawatte und hellgrauem Sakko lächelte leicht, als er seine Anwältinnen begrüßte. Vor Gericht sagte er kein Wort, weder zu seiner Person noch zur Anklage. Die Verlesung verfolgte er mit unbewegtem Gesicht, manchmal stützte er den Kopf auf die gefalteten Hände. Bei einem Schuldspruch droht ihm lebenslänglich. Rwabukombe ist seit Ende Juli in Hessen in Haft.

Auf dem Kirchhof erschossen

Oberstaatsanwalt Christian Ritscher entfaltete ein Szenario des Grauens, als er Rwabukombe in der Anklageschrift eine "führende Funktion" beim Genozid vor 17 Jahren in Ruanda vorwarf. Als "Ungeziefer" habe der die Tutsi "entmenschlicht". Ziel der Tötung von landesweit mehr als 800.000 Zivilisten durch Hutu-Extremisten mit Gewehren, Macheten und Hacken sei "letztlich die Auslöschung der Volksgruppe der Tutsi" gewesen.

Rwabukombe war Bürgermeister der Gemeinde Muvumba. Die Anklage macht ihn unter anderem für ein Massaker am 13. April in Kabarondo verantwortlich: Dort hätten sich 1.700 Tutsi in eine Kirche geflüchtet, als der Angeklagte am Morgen gegen 8.30 Uhr etwa 60 Polizisten und Milizionäre zur Tötung dieser Menschen aufgefordert habe. Zuerst seien die jungen Männer aus der Kirche gelockt und mit Pfeilen getötet worden. Später sei die Kirche mit Granaten und Maschinengewehren beschossen worden. "Wer flüchtete, wurde auf dem Kirchhof erschossen", zitierte Ritscher aus der Anklageschrift. Zuletzt seien Milizionäre in die Kirche eingedrungen, um die letzten Überlebenden zu töten und auszuplündern. Insgesamt seien 1.360 Menschen gestorben.

Die Verteidigung hinterfragte die Beweisführung zu diesem Massaker. Anwältin Natalie von Wistinghausen beantragte Einsicht in weitere Akten der Anklage. Die Bundesanwaltschaft solle dokumentieren, ob sie bei ihren Ermittlungen auch entlastenden Hinweisen, etwa auf eine mögliche Schuld anderer, nachgegangen sei, sagte sie. Rwabukombe sei Bürgermeister von Muvumba gewesen, nicht von Kabarondo. Die belastende Zeugenaussage eines Priesters könne sich auf eine andere Person beziehen. Der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel gab der Bundesanwaltschaft bis zum nächsten Verhandlungstermin am 25. Januar Zeit, darauf zu antworten.

"Ein neues Kapitel der Rechtsgeschichte"

Der erste Prozess in Deutschland zum Völkermord in Ruanda schlägt nach Meinung von Bundesanwalt Thomas Beck ein neues Kapitel in der deutschen Rechtsgeschichte auf. Nach dem Völkerstrafrecht dürfe es kein Land auf der Erde geben, in der die Täter nach solch monströsen Verbrechen Ruhe und Rückzug finden. Deutsche Ermittler hatten selbst in Ruanda Zeugen vernommen, darunter Überlebende und verurteilte Häftlinge.

Die Anklage gegen Rwabukombe umfasst auch Mord sowie Anstiftung zu Völkermord und Mord. Der ruandische Kommunalpolitiker hatte im Rhein-Main-Gebiet nach einem Asylantrag ein Bleiberecht, als Ruanda 2008 seine Auslieferung verlangte. Dies wurde wegen der Zweifel an der Fairness der ruandischen Justiz abgelehnt. Auch eine Überstellung an das Ruanda-Tribunal in Arusha kam nicht in Betracht. Das internationale Gericht muss seine Arbeit bis Jahresende abschließen.

Für den Frankfurter Prozess sind insgesamt 45 Verhandlungstermine bis Oktober angesetzt. 52 Zeugen sind geladen, darunter deutsche Ermittler und Überlebende aus Ruanda. Für das Verfahren gilt noch der inzwischen entfallene Völkermord-Paragraf 220a des Strafgesetzbuches. Das Völkerstrafgesetzbuch trat erst 2002 in Kraft und gilt nicht rückwirkend. Tatbestand und Strafbarkeit sind aber in etwa gleich.

Von den Kolonialmächten geschürter Konflikt

Der Völkermord in Ruanda 1994 zählt zu den schlimmsten Verbrechen in Afrika im 20. Jahrhundert. Er war Folge eines eskalierenden Konflikts zwischen der Hutu-Mehrheit und der Tutsi-Minderheit: An rund hundert Tagen töteten Hutu-Extremisten damals mehr als 800.000 Tutsi und gemäßigte Hutu. Die Opfer wurden bis in Kirchen oder in Sümpfe verfolgt, auf offener Straße erschossen oder mit Macheten niedergemetzelt.

Auslöser war der Abschuss des Flugzeugs von Präsident Juvenal Habyarimana, einem moderaten Hutu, im Landeanflug auf die Hauptstadt Kigali am 6. April 1994. Die Täter sind unbekannt, die Umstände liegen bis heute im Dunkeln. Noch in derselben Nacht begann das Morden. Die Massaker schienen von langer Hand vorbereitet, Radiosender riefen zu Gewalt auf, Milizen bekamen Todeslisten.

Der Konflikt wurzelt in der Geschichte. Die früheren Kolonialmächte Deutschland und Belgien förderten vor allem die Tutsi als vermeintlich herrschende Schicht. Die Bezeichnungen Hutu und Tutsi stehen nicht für unterschiedliche Völker, sondern für soziale Gruppen wie Bauern und Viehzüchter. Beide sprechen die gleiche Sprache, Kinyarwanda.

Als 1959 Hutu Massaker an Tutsi verübten, flüchteten Tausende Tutsi nach Uganda. 1962 wurde Ruanda von Belgien unabhängig, unter einem Hutu-Präsidenten. Die Spannungen dauerten an, immer wieder gab es Massaker.

Erst Rebellenanführer, dann Präsident

1990 begann ein Bürgerkrieg, als die von Tutsi-Exilanten geführte "Ruandische Patriotische Front" (RPF) von Uganda aus Ruanda angriff. Mehrere Waffenstillstandsabkommen scheiterten, 1993 kam es aber zu einem Friedensvertrag. Doch der Abschuss des Flugzeugs im April 1994 änderte alles, er löste ein beispielloses Blutvergießen aus.

Als dramatisches Versagen der Weltgemeinschaft wird gewertet, dass die 2.700 Mann starke UN-Truppe nicht eingreifen durfte und verstärkt wurde. Sie wurde vielmehr zunächst auf 270 Soldaten verringert. Erst der Sieg der RPF-Rebellen beendete den Völkermord im Juli. Ihr Anführer Paul Kagame wurde erst Vizepräsident und dann Präsident Ruandas.

Bei den Wahlen 2003 erhielt er 95 Prozent der Stimmen. 2010 wurde er mit etwa 93 Prozent wiedergewählt. Kritiker bemängelten allerdings Einschränkungen für die Opposition und das Fehlen von Transparenz.

Ruanda ist ein Binnenstaat im Osten Zentralafrikas, der etwa so groß ist wie das Bundesland Brandenburg. Von den rund zehn Millionen Einwohnern gehören 80 bis 85 Prozent zur Volksgruppe der Hutu. Etwa zehn Prozent sind Tutsi. Mit fast 370 Einwohnern pro Quadratkilometer gehört Ruanda zu den am dichtesten besiedelten Ländern Afrikas.

epd