Deutsches Gericht untersucht Völkermord in Afrika
Die Verbrechen, um die es geht, liegen fast 17 Jahre zurück und geschahen tausende Kilometer von Deutschland entfernt. Es ist ein ungewöhnlicher Strafprozess, der an diesem Dienstag in Frankfurt beginnt: Ein Ex-Bürgermeister aus Ruanda, der Asyl in Deutschland beantragt hatte, muss sich wegen Völkermord und Mord verantworten. Er soll 1994 drei Massaker befehligt haben, bei denen mehr als 3.730 Menschen starben. Die Opfer hatten sich in Kirchen geflüchtet.
17.01.2011
Von Elvira Treffinger

Es ist der erste Prozess in Deutschland zum Völkermord in Ruanda. In dem zentralafrikanischen Land haben Hutu-Extremisten zwischen April und Juni 1994 mehr als 800.000 Angehörige der Tutsi-Minderheit und gemäßigte Hutu getötet. Nach dem Weltrechtsprinzip im Völkerrecht sind alle Staaten verpflichtet, solch schwere Verbrechen zu ahnden, egal wo sie begangen wurden.

Für das Verfahren am Frankfurter Oberlandesgericht hat der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel bis Herbst 45 Verhandlungstage angesetzt und 52 Zeugen geladen. Darunter sind Überlebende aus Ruanda. Der Angeklagte Onesphore Rwabukombe ist heute 54 Jahre alt. Er hatte nach seinem Asylantrag im Rhein-Main-Gebiet ein Bleiberecht, als Ruanda 2008 um seine Auslieferung ersuchte. Die deutsche Justiz lehnte ab, weil Zweifel an der Fairness ruandischer Gerichte bestehen. Eine Überstellung an das internationale Ruanda-Tribunal im tansanischen Arusha kam ebenfalls nicht infrage. Das Gericht muss seine Arbeit bis Ende des Jahres abschließen.

Zunächst wieder freigelassen

Rwabukombe wurde in Deutschland verhaftet, aber wieder freigelassen, weil die Beweise für einen dringenden Tatverdacht zunächst nicht ausreichten. Dann fuhren deutsche Ermittler selbst nach Ruanda und in andere Länder, baten um Rechtshilfe und befragten Augenzeugen und Überlebende. Seit Ende Juli 2010 ist Rwabukombe wieder in Haft. Sein Bild auf dem Fahndungsaufruf von Interpol ist ein offenbar mehrfach fotokopiertes Foto, das kaum die Gesichtszüge erkennen lässt. Rwabukombe war Bürgermeister der Gemeinde Muvumba und Kreisvorsitzender der damaligen Hutu-Regierungspartei MRND, deren Jugendmiliz Interahamwe beim Genozid besonders gewütet haben soll.

Die Tatvorwürfe gegen den ehemaligen Kommunalpolitiker sind schwerwiegend. Die Opfer, alles Tutsi, hatten in kirchlichen Einrichtungen Schutz vor mordenden Soldaten, Polizisten und Milizionären gesucht. "Die Anklage ist sehr umfangreich", sagt der Sprecher der Generalbundesanwaltschaft, Frank Wallenta. Rwabukombe hat sich bisher nicht zu den Vorwürfen geäußert. "Es ist ein sehr typischer Fall", sagt die Völkerrechtsexpertin von Amnesty International, Leonie von Braun. Die Vernichtung der Tutsi in Ruanda sei 1994 bis auf die unterste Verwaltungsebene vorbereitet und organisiert worden.

Große Herausforderung für das Gericht

Erfüllen Tötungsdelikte den Tatbestand des Völkermordes, steht darauf in Deutschland lebenslänglich. Entscheidend ist, ob der Täter in der Absicht handelte, "eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören". So heißt es in Paragraf 220a Strafgesetzbuch, der für Rwabukombe noch gilt, obwohl er inzwischen wegfiel. Den Umgang mit solchen Verbrechen regelt seit 2002 in Deutschland das Völkerstrafgesetzbuch, mit stellenweise fast gleichlautenden Passagen.

Die Beweisführung im Frankfurter Prozess steht wegen des zeitlichen und räumlichen Abstands zu den Geschehnissen in Ruanda vor großen Herausforderungen. Fraglich ist etwa, ob die Verteidigung ausreichend Möglichkeiten haben wird, Beweismittel der Anklage zu überprüfen. "Es gilt minutiös aufzuarbeiten: Hat unser Mandant Straftaten begangen oder nicht?" sagt Rwabukombes Verteidigerin Natalie von Wistinghausen dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Zeugenaussagen entscheidend

Zu 95 Prozent werde das Verfahren nach den Aussagen von Zeugen entschieden werden. Daher gehe es vor allem um deren Glaubwürdigkeit. "Das Ruanda-Tribunal in Arusha hat sich nie für unseren Mandanten interessiert", betont Wistinghausen, die an dem internationalen Gericht schon Rechtsbeistand für Angeklagte leistete. "Daraus kann man Schlüsse ziehen."

Auch Versuche politischer Einflussnahme sind denkbar. Der Präsident von Ruanda, Paul Kagame, ist Tutsi und gilt als Stabilitätsfaktor im unruhigen Zentralafrika. Könnte sich die deutsche Justiz in Zugzwang sehen, eine Verurteilung zu erreichen? Anwältin Wistinghausen will jedenfalls alles tun, um einen fairen Prozess für ihren Mandanten zu erreichen: "Wir wollen kein politisches Verfahren führen", sagt sie. "Es geht um Schuld oder Unschuld."

epd