Polizisten verbreiten Angst und Schrecken in Tunis
Sie sollten eigentlich die Bevölkerung schützen, stattdessen tyrannisieren sie die Menschen. Ben Alis Polizisten marodieren in Tunis. Die Lage ist unsicher: Sonntagnachmittag wurde wieder geschossen. Die Bewohner von Tunis leben in Angst und Schrecken.
16.01.2011
Von Ulrike Koltermann

Ein kleines Feuer brennt auf dem Hof zwischen den Mietshäusern in einem Randbezirk von Tunis. Rauchschwaden steigen auf, es riecht nach verbranntem Kunststoff. Es sind die blutbefleckten Kleidungsstücke von Ilyas, die dort verbrennen. Der 30-Jährige zählt zu den Opfern der jüngsten Gewaltwelle in Tunis. "Es waren Polizisten, die ihn erschossen haben, sie kamen in Autos des Innenministeriums", berichtet ein Freund des jungen Mannes und zeigte die Patrone, die ihn am Kopf getroffen hatte.

Von Mitternacht bis um drei Uhr morgens hätten sie im Stadtviertel El Khadra geschossen, sagt ein anderer. In der weißen Hauswand sind mehrere Einschlusslöcher zu sehen. "Sie wollen uns terrorisieren", ruft eine Frau mit Panik in der Stimme. Die Einwohner haben eine Bürgerwehr gebildet, um sich gegen die Übergriffe der Polizei zu verteidigen. "Wir haben keine Waffen, wir wehren uns mit Steinen und Stöcken", sagt ein älterer Mann. Ilyas war einer von ihnen, der in der Nacht zu Sonntag in El Khadra im Einsatz war. Er hatte sich zu weit hinter einer Mauer vorgewagt und war getroffen worden.

In der Bevölkerung als korrupt nd brutal verschrieen

In Tunesien war die Polizei noch nie ein Freund und Helfer, aber seit Beginn der Unruhen hat sich ihre Rolle komplett ins Gegenteil verkehrt. Heute sind es die Polizisten, die Angst und Schrecken verbreiten und plündernd durch die Gegend ziehen. Sie haben ohnehin nichts zu verlieren, sie standen im Dienst von Präsident Zine el Abidine Ben Ali und sind bei der Bevölkerung schon lange als korrupt und brutal verschrien. Seit er weg ist, scheinen einige von ihnen alle Hemmungen verloren zu haben.

In anderen Vierteln lässt sich zwischen Bürgerwehren und marodierenden Banden nicht mehr unterscheiden. Im Stadtviertel Adriana blockieren am Sonntag Horden junger Männer die Straßen. Viele von ihren sind mit Stöcken bewaffnet, einzelne mit Äxten, Hockeyschlägern oder leeren Flaschen. "Es gibt kein Gesetz mehr, sie machen selber das Gesetz", meint Jamal, ein Taxifahrer.

Am Vormittag sieht es zum ersten Mal nach den Chaostagen rund um Ben Alis Abschied ein wenig nach Alltag aus. In der hübschen Markthalle mit Ziegeln und Gebälk sind wieder einige Stände geöffnet. Es gibt Orangen, Datteln, Bananen. Aber viele Tunesier klagen über Versorgungsmangel. "Wir haben seit drei Tagen kein Brot mehr bekommen", sagt eine alte Frau. Vor den wenigen offenen Bäckerläden zieht sich die Schlange um den halben Häuserblock herum. Auch vor den Tankstellen warten zahlreiche Autofahrer.

Scharfschützen haben sich auf Dächern postiert

Später sind die Straßen im Zentrum jedoch fast zivilistenleer. Dafür stehen bewaffnete Soldaten bereit - und auch Polizisten mit Schlagstöcken. Am Nachmittag sind im Zentrum heftige Schießereien zu hören, Hubschrauber kreisen in der Luft. Scharfschützen haben sich auf Dächern postiert.

Viele Tunesier hoffen darauf, dass die Gewalt nur ein Phänomen des Übergangs ist. Die Armee, die bislang sehr darauf bedacht war, Gewalt zu verhindern, hat mittlerweile zahlreiche Polizisten festgenommen, insbesondere von Ben Alis Eliteeinheiten. "Das Chaos wird nicht mehr lange anhalten. Das Wichtigste ist, dass wir endlich unsere Freiheit haben", meint eine 29 Jahre alte Hochschuldozentin. "Mein Sohn wird in einem freien Land leben", fügt sie hinzu und streicht ihrem Jungen dabei durch die Haare. 

dpa