Nach Angaben von Ärzten sind bis zu 50 Menschen ums Leben gekommen. Nach ersten Erkenntnissen hatten Häftlinge ihre Matratzen in Brand gesteckt. Die Flammen hätten dann schnell auf das gesamte Gebäude übergegriffen. Als die Insassen zu fliehen versuchten, eröffneten Wärter nach Augenzeugenberichten das Feuer; mehrere Häftlinge seien an Schusswunden gestorben, andere verbrannt.
In Tunesien gibt es durch ein Machtvakuum nach der Flucht von Präsident Ben Ali zur Zeit zahlreiche Attacken gegen öffentliche Gebäude und Einrichtungen. Aus der Hauptstadt Tunis wurde von chaotischen Szenen berichtet. Gebäude brannten, es kam zu Plünderungen. Unterdessen begannen deutsche Reiseveranstalter, Urlauber auszufliegen. Alle Flüge nach Tunesien wurden wegen des Ausnahmezustands bis Montag abgesagt.
Nach Angaben von Augenzeugen brannte in der Nacht der Zentralbahnhof in Tunis. In mehreren Supermärkten und Wohngebäuden sei ebenfalls Feuer gelegt und auch ein Krankenhaus angegriffen worden. Unruhen wurden auch aus anderen Landesteilen gemeldet.
Ministerpräsident Mohamed Ghannouchi sprach im tunesischen Staatsfernsehen von einem völligen Chaos. Er riet den Bewohnern von Tunis, sich in Gruppen zusammenzuschließen, um ihre Habe zu schützen. In einem Interview kündigte er an, die Armee verstärkt zur Sicherung der Wohnviertel einzusetzen.
Frankreich ließ Ben Ali nicht einreisen
Bis zu Neuwahlen wird Ghannouchi das Amt des Interims-Präsidenten ausüben. Er werde sich am Samstag mit den Führern der politischen Parteien treffen, um über das weitere Vorgehen zu beraten, sagte er in einem Interview am Freitagabend. "Morgen wird ein entscheidender Tag", kündigte Ghannouchi an. Zwei Oppositionsführer hätten bereits Bereitschaft zur Zusammenarbeit signalisiert. Eine Rückkehr Ben Alis nach Tunesien bezeichnete er als "unmöglich".
Die Proteste, die sich ursprünglich gegen die hohe Arbeitslosigkeit richteten, hatten sich in den vergangenen Tagen immer mehr zu einem offenen Aufstand gegen das Regime Ben Alis entwickelt. Der autoritäre Herrscher hatte am Freitag nach mehr als einem Vierteljahrhundert an der Macht noch den Ausnahmezustand verhängt und die Regierung abgesetzt.
Am frühen Samstagmorgen traf die Maschine des geflohenen Präsidenten im saudi-arabischen Dschiddah am Roten Meer ein. Man habe Ben Ali und seine Familie im Königreich willkommen geheißen, meldete die saudische Nachrichtenagentur SPA. Die Regierung Saudi-Arabiens wünsche Tunesien "Sicherheit und Stabilität" und "stehe an der Seite des tunesischen Volkes", hieß es. Ben Ali hatte nach französischen Medienberichten zuvor versucht, in Paris zu landen. Die französische Regierung habe ihn aber nicht einreisen lassen wollen, berichtete die Zeitung "Le Monde".
Tunesien-Urlauber trafen in Deutschland ein
Reiseveranstalter flogen am Freitagabend deutsche Tunesien- Urlauber in die Heimat aus. Erste Maschinen mit Touristen trafen in Düsseldorf und Berlin ein. Wegen des Ausnahmezustands und der Sperrung des tunesischen Luftraums war es zu Flugausfällen gekommen, die die vorzeitige Heimkehr zahlreicher Touristen verzögerten. Reiseveranstalter schätzen, dass mit deutschen Anbietern etwa 7000 Touristen nach Tunesien geflogen sind. In den Urlauber-Hotels blieb es zunächst ruhig.
Das Auswärtige Amt in Berlin riet von nicht unbedingt erforderlichen Reisen nach Tunesien ab. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich besorgt über die Lage und mahnte eine friedliche Beilegung der sozialen Unruhen an.
EU und USA drängen auf friedlichen Wandel
Die EU-Kommission dringt ebenfalls auf einen friedlichen Wandel in dem Mittelmeerland. "Wir mahnen alle Parteien, Zurückhaltung zu zeigen und Ruhe zu bewahren, um weitere Opfer und Gewalt zu vermeiden", erklärte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton am Freitagabend in Brüssel. Der Schlüssel für die weitere Entwicklung sei der Dialog.
Auch die USA riefen alle Seiten zur Zurückhaltung auf. Die tunesische Regierung müsse "in diesem Moment des bedeutenden Wandels" das Recht ihres Volkes respektieren, sich friedlich zu versammeln und seine Ansichten zu äußern, erklärte US-Außenministerin Hillary Clinton. Die Vereinigten Staaten verfolgten die rapiden Entwicklungen ganz genau, so die Außenministerin. Sie rief zu freien und fairen Wahlen in naher Zukunft sowie zu Reformen auf.