Ein alter Mensch stolpert in seiner Wohnung über den Teppich und fällt hin, und es ist keiner da, der ihm aufhelfen kann oder den Arzt ruft. Ein Hausnotruf, bei dem über einen Alarmknopf Hilfe herbeigerufen werden kann, ist in einem solchen Fall nützlich. Was aber geschieht, wenn jemand sich so verletzt, dass er den Knopf nicht mehr drücken kann, oder wenn ein Mensch dement ist? Studentinnen und Studenten der Fachhochschule Frankfurt am Main arbeiten an Systemen, die in einem solchen Fall selbstständig Hilfe herbeirufen könnten. Neu daran ist, dass sie fachübergreifend arbeiten.
Die Fachbereiche Architektur, Informatik und Intelligente Systeme sowie Gesundheit und soziale Arbeit bieten in Frankfurt einen Masterstudiengang "Barrierefreie Systeme" (BaSys) an. Er bringt Bereiche zusammen, die nur auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Dahinter steht die Erfahrung, dass Informatiker und Architekten zwar innovative Ideen entwickeln, wie alten, kranken oder behinderten Menschen ihr Alltag erleichtert werden könnte.
Aber sie planen bisweilen an den wirklichen Bedürfnissen der Menschen vorbei. Wenn dagegen Pflegefachleute oder Sozialwissenschaftler gefragt und an der Planung beteiligt werden, dann können Hilfesysteme entwickelt werden, die chronisch kranken oder behinderten Menschen weiterhelfen. Und so finden sich die Studenten aller drei Fachbereiche regelmäßig in einem Labor zusammen, um an intelligenten Fußböden oder barrierefreien Schränken zu tüfteln.
Der Roboter hat seine Augen überall
Die Frage, wer nach einem Sturz Hilfe herbeirufen kann, hat zum Beispiel die beiden Informatikstudenten Abdelhak Laghzaoui und Idriss Benzakour dazu angeregt, einen Roboter zu bauen, der buchstäblich seine Augen überall hat. Auf einem Gestell sind Kameras so montiert, dass sie jeden Winkel eines Raums erfassen können. Registriert das Gerät, dass ein Mensch am Boden liegt und sich nicht mehr aufrichtet, soll es selbstständig Hilfe herbeirufen können. Langfristig soll das Techno-Wesen sogar lernen, Gesichtsausdrücke zu erkennen, etwa Angst. Allerdings sagt Abdelhak Laghzaoui: "Die alten Menschen sollen sich auf keinen Fall beobachtet oder überwacht fühlen."
Man müsse nämlich unterscheiden, ob es sich um einen demenzkranken Menschen handelt, oder jemanden, der geistig klar ist, sagt die Gerontopsychiaterin Doris Bredthauer. Sie betreut den Studiengang für den Fachbereich Pflege- und Sozialwissenschaften. Einem Demenzkranken könnten die gläsernen Augen und ein sich selbst bewegendes elektronisches Artefakt Angst einjagen. "Da sollte das Gerät besser verkleidet oder umbaut werden", meint sie. Bei Menschen ohne Demenzerkrankung dagegen wäre es besser, die Technik offen zu zeigen, damit kein Misstrauen entstehen kann.
"Es geht nicht darum, menschliche Zuwendung und Pflege durch Technik zu ersetzen", versichert Bredthauer. Vielmehr könnten durch intelligente technische Lösungen pflegebedürftige Menschen in ihrem Wunsch unterstützt werden, weitgehend selbstständig zu leben.
Kluge Nudeltöpfe, Paternosterschränke und intelligente Fußböden
Beispiel: Eine kleinwüchsige Frau wünscht sich eine Vorrichtung, die ihr ermöglicht, beim Kochen die Nudeln oder Kartoffeln abzugießen. Weil ihre Arme kürzer sind als die anderer Menschen, kann sie einen großen Topf nicht gefahrlos mit zwei Händen fassen. Für sie wurde eine Kippvorrichtung geschaffen, die den Topf am Boden mit einem Elektromagneten festhält.
Ein anderes Beispiel sind Paternosterschränke, die das jeweils benötigte Fach immer auf Augen- und Arbeitshöhe des Benutzers heranfahren können, egal, ob dieser etwa im Rollstuhl sitzt, oder die Arme nicht hochheben kann.
Auch der intelligente Fußboden ist so ein Hilfsmittel. Er kann erkennen, wenn etwas hingefallen ist und diese Information weiterleiten. Konnte er zunächst nur fühlen, wenn eine "Masse" am Boden lag, so hat er inzwischen "gelernt", anhand der Umrisse etwa einen gestürzten Menschen von einem umgefallenen Schrank zu unterscheiden.
Spezielle Software ist gefragt
"Technik für den Menschen ist eine extreme Herausforderung", sagt Prof. Gerd Döben-Henisch, vor fünf Jahren Mitbegründer von BaSys und für den Bereich der Technik zuständig. Intelligente Software sei noch viel zu selten. "Es gibt da immer noch psychologische Barrieren, auch bei den Technikern", weiß er.
Auf Seiten der Pflege dagegen vermisst Bredthauer die Visionäre. "Viele haben zwar eine Vorstellung von der gewünschten Lösung. Doch weil sie sie für utopisch halten, artikulieren sie ihre Bedürfnisse erst gar nicht", so ihre Erfahrung.
Die interdisziplinäre Projektschiene macht immerhin ein Drittel der Zeit des Masterstudiengangs aus. Entstehen können daraus neue Berufsfelder. Und so haben letztlich alle etwas davon: die alten und behinderten Menschen, denen das selbstständige Leben erleichtert wird, und die jungen Menschen, die sich im Arbeitsmarkt neue Aufgaben erschließen können.
Lieselotte Wendl arbeitet als freie Journalistin in Frankfurt.