Der Druck auf Tunesiens Staatsoberhaupt Zine el Abidine Ben Ali wächst. Immer neue Demonstrationen und gewaltsame Ausschreitungen mit Toten erschüttern das Land. Ein Großteil der Bevölkerung teilt die Kritik der Demonstranten an der Arbeitslosigkeit im Land und der Vetternwirtschaft des seit 1987 regierenden Präsidenten. Die Staatsführung gerät bislang aber nicht ins Wanken. Denn die seit Jahren unterdrückte Opposition ist nicht in der Lage, Alternativen zu Ben Ali (74) aufzuzeigen.
Habgier, Korruption und Vetternwirtschaft
Selbst wenn die Proteste zu einem Sturz von Ben Ali führen sollten, wäre auch ein Thronfolger aus dem eigenen Clan kaum mehr vorstellbar. Habgier, Korruption und Vetternwirtschaft - das sind die Begriffe, die mit "La Famille" (Die Familie) in Verbindung gebracht werden. Die islamistischen Kräfte im Land gelten als schwach. Beobachter rechnen nicht damit, dass sie entscheidend in die Geschehnisse eingreifen könnten.
Selbst langjährige politische Beobachter müssen passen, wenn sie nach der weiteren Entwicklung der Situation gefragt werden. "Es ist nicht erkennbar, wer gegebenenfalls als Nachfolger auftreten könnte. Es drängt sich niemand auf", sagt Ralf Melzer, der in Tunis die Vertretung der Friedrich-Ebert-Stiftung leitet. In anderen politischen Lagern sei allerdings auch niemand zu finden. "Die Oppositionsparteien sind personell und strukturell nicht in der Lage, sich an die Spitze der Proteste zu setzen", so der 43-Jährige. Zumindest in dieser Hinsicht hatten die Einschüchterungen und Repressionen des Staatschefs Erfolg.
Im Präsidentlager gab es schon oft Gerüchte über mögliche Thronfolger aus den eigenen Reihen. Präsidentengattin Leila Ben Ali wurden Ambitionen nachgesagt, ebenso Ex-Außenminister Abdelwaheb Abdallah oder dem schwerreichen Geschäftsmann und Schwiegersohn Mohamed Sakhr El Materi. Bekennen wollte sich Ben Ali allerdings nie zu einem der möglichen Kandidaten. Stattdessen bildete sich bereits im vergangenen Jahr eine Bewegung, die eine weitere Amtszeit des amtierenden Präsidenten propagierte. Diese würde 2014 beginnen und bis 2019 dauern.
Ben Ali kündigt indirekt Rücktritt an
Ob Ben Ali die Situation noch einmal in den Griff bekommt, ist fraglich. Keine seiner in den vergangenen Tagen angekündigten Maßnahmen haben dazu geführt, dass sich die Lage beruhigt. Weder das Versprechen, in zwei Jahren 300.000 Arbeitsplätze zu schaffen, noch die Ankündigung, festgenommene Demonstranten freizulassen. Auch die nächtliche Ausgangssperre wurde nicht befolgt.
Wenn die Regierung nicht aufhöre, die Demonstranten zu kriminalisieren und die Sicherheitskräfte weiter schießen, dann sei es wahrscheinlich, dass es mit Ben Ali nicht weitergehe, meint Melzer. Der Präsident müsse nun eindeutige Signale senden: "Ich habe verstanden, dass Ihr nicht auf die Straßen geht, weil ihr dem Land schaden wollt, sondern weil ihr für eine Verbesserung eures Lebens demonstriert." Ein solcher Satz könne vielleicht etwas Ruhe bringen, so Melzer.
Am Donnerstagabend wandte sich Ben Ali erneut in einer Fernsehansprache ans Volk und versprach ein Ende "ungerechtfertigter" Polizeigewalt und sinkende Preise für Lebensmittel. Zudem stellte er für 2014 ein Ende seiner Präsidentschaft in Aussicht. "Ich lehne es ab, dass die Altersgrenze (von 75 Jahren) für eine Präsidentschaftskandidatur geändert wird", sagte der 74-Jährige. Ob ihm die Demonstranten glauben, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Demokratie hatte Ben Ali bereits bei seinem Amtsantritt 1987 versprochen.
Auf schnelle Erfolge bei der Bekämpfung der Ursachen der Unzufriedenheit kann Ben Ali unterdessen nicht hoffen. An den Universitäten wurden in den vergangenen Jahren hunderttausende junge Menschen ausgebildet. Doch Jobs für Hochschulabsolventen sind Mangelware. Die Arbeitslosenquote in dieser Gruppe wird auf über 30 Prozent geschätzt.