TV-Tipp: "Dornröschen erwacht" (ARD)
Der Titel täuscht: Wenn Dornröschen im Märchen erwacht, wird alles gut. In diesem intensiv gespielten Psychothriller fangen die Probleme mit der Rückkehr ins Leben erst an.
14.01.2011
Von Tilmann P. Gangloff

"Dornröschen erwacht", 21. Januar, 23.30 Uhr im Ersten

Vor drei Jahren fuhr die bekannte Pianistin Juliane Meybaum (Nadja Uhl) mit ihrem Auto gegen einen Baum. Nun ist sie aus dem Koma erwacht; eine Wendung des Schicksals, die nicht alle erfreut. Doch von Juliane droht keine Gefahr: An die zwei Monate, die vor dem Unfall lagen, kann sie sich nicht mehr erinnern. Aber irgendetwas muss damals vorgefallen sein, denn alle verhalten sich merkwürdig: der behandelnde Arzt (Ulrich Tukur), ihr Mann (Mišel Mati?evi?) und selbst ihre beste Freundin (Marie-Lou Sellem).

Die Parallelen zu typischen Hitchcock-Handlungen liegen auf der Hand. Regisseur Elmar Fischer kann sich daher mit winzigen Andeutungen begnügen, um seine Zuschauer ins Grübeln zu bringen: Wer würde von Julianes Tod profitieren? Welche Rolle spielt der undurchsichtige Psychiater? Nach dem Unfall hat sich Gatte Stefan zielstrebig nach oben gearbeitet: Das Haus von Julianes Eltern hat er für viel Geld verkauft, anschließend eine Konzertagentur eröffnet und ist nun angesehener Geschäftsmann. Im neuen Domizil lebt Stefan schon seit einiger Zeit mit Inga zusammen, jener Frau, mit der die Pianistin seit Kindertagen aufs engste befreundet ist.

War der Unfall ein Selbstmord- oder oder Mordversuch?

Und dann stellt Juliane fest, dass sie ihren Anteil am ehelichen Vermögen nur erhält, wenn ein psychologisches Gutachten ihre geistige Gesundheit attestiert. Dafür wäre niemand anderes als Professor Seebaldt zuständig, der Arzt, der sie über die Jahre hinweg betreut hat; und bei dem sie, wie sie herausfindet, schon vor ihrem Unfall in Behandlung war. Juliane hat nur eine Wahl, um die Wahrheit zu entdecken: Sie muss herausfinden, was damals in den acht Wochen, die zwischen dem Tod ihres Vaters und ihrem Unfall lagen, passiert ist. Und ob ihr Unfall der misslungene Versuch war, sich das Leben zu nehmen; oder womöglich ein Mordversuch.

Stärker noch als an "Spellbound – Ich kämpfe um dich" erinnert das erste verfilmte Filmdrehbuch von Martin Douven an "Tod im Spiegel" (Shattered", 1990), das Hollywood-Debüt von Wolfgang Petersen. Und doch ist "Dornröschen erwacht" kein Thriller, sondern eher ein Psychodrama. Natürlich ist die Suche nach der Wahrheit der Motor der Handlung, aber Fischer konzentriert sich vor allem auf die um den Arzt ergänzte Dreiecksgeschichte. In der Führung von Darstellern liegt ohnehin seine Stärke: Schon sein Debüt "Fremder Freund", einer der besten Filme über die Terrorangst, imponierte vor allem durch das Zusammenspiel der drei Hauptfiguren.

In "Dornröschen erwacht" ragt Titeldarstellerin Nadja Uhl mit einer Mischung aus Fragilität und Stärke aus einem ausgezeichneten Ensemble heraus. Auch dieser Film lebt selbstredend vom Schatten des Zweifels, weshalb man ständig nach Anzeichen sucht; erst Recht, als Gatte und Freundin ihre innige Beziehung gestehen. Denn die Möglichkeit, Juliane könne tatsächlich unter einer "paranoiden Störung" leiden, darf man getrost außer acht lassen.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).