Ausgangssperre in Tunis: Wieder Tote in Tunesien
In Tunis ist es ungeachtet einer nächtlichen Ausgangssperre in mehreren Armenvierteln zu Krawallen gekommen. Soldaten patrouillierten in den Straßen. Präsident Ben Ali feuerte den Innenminister.

Die sozialen Unruhen in Tunesien haben die Hauptstadt erreicht. Präsident Zine el Abidine Ben Ali setzte die Armee zum Schutz wichtiger Gebäude in Tunis ein. Er entließ am Mittwoch zudem den Innenminister und ordnete die Freilassung aller festgenommenen Demonstranten an. Am Abend trat eine Ausgangssperre in Kraft, die die Behörden über die Hauptstadt verhängt hatten.

Krawalle in Tunis trotz Ausgangssperre

In mehreren Armenvierteln von Tunis ist es trotz einer Ausgansgsperre am Mittwochabend zu schweren Krawallen mit zahlreichen Verletzten gekommen. Nach unbestätigten Berichten gab es erneut Tote, doch war eine Überprüfung dieser Informationen nicht möglich. Krankenwagen fuhren mit heulenden Sirenen durch die Stadt, mehrere Polizeiwachen wurden in Brand gesteckt. In den Straßen waren bis spät in den Abend Schüsse zu hören. Unklar war, ob Tränengas- Granaten oder scharfe Munition verschossen wurde. In der Nacht kehrte in mehreren Viertel der Hauptstadt wieder Ruhe ein. Dies bestätigten Anwohner.

Die Demonstranten hätten die Abdankung des autokratischen Langzeitpräsidenten Zine el Abidine Ben Ali gefordert und ihn und seine Familie verunglimpft, berichteten Gewerkschaftssprecher. Auch aus anderen Teilen des Landes gab es Berichte über erneute Krawalle. In der rund 450 Kilometer von Tunis entfernten Stadt Gafsa soll die Polizei nach Angaben von Augenzeugen vor den Demonstranten geflohen sein. Mehrere Geschäfte seien geplündert worden.

Am Mittwoch wurden bei Unruhen im Süden des Landes zwei Männer im Alter von 27 und 35 Jahren erschossen. Nach Augenzeugenberichten eröffnete die Polizei das Feuer auf Demonstranten im Ort Douz etwa 500 Kilometer südlich von Tunis. Auch im Küstenort Sfax kam es zu Demonstrationen.

Ben Ali hatte am Mittwoch den Innenminister gefeuert und verkündet, inhaftierte Demonstranten freizulassen. Zum Schutz wichtiger Gebäude marschierten Soldaten auf. Der seit Mitte Dezember anhaltende Protest gegen die hohe Arbeitslosigkeit hat sich mittlerweile zu einer regimekritischen Massenbewegung in diversen Orten des Landes ausgeweitet. Bei den Opferzahlen der Krawalle gehen die Angaben weit auseinander. Die Regierung sprach am Dienstagabend von 21 Toten, Gewerkschafter gehen von 50 Toten seit dem Wochenende aus.

Frankreich hält sich mit Kritik zurück

In der französischen Hafenstadt Marseille demonstrierten am Mittwochabend mehrere hundert Menschen und skandierten gegen Ben Ali gerichtete Parolen. Die Metropole hat traditionell einen hohen Anteil an Nordafrikanern. Die Demonstranten kritisierten die französische Regierung, weil sie die tunesische Regierung für ihr gewaltsames Vorgehen nicht kritisiert. "Wir verurteilen die Gewalt", hatte Regierungssprecher François Baroin am Mittwoch in Paris unbestimmt erklärt. "Weiter können wir nicht gehen, das wäre eine Einmischung in innere Angelegenheiten", fügte er hinzu.

Ben Ali wird in Paris als Bollwerk gegen den Islamismus gesehen. Die französische Regierung hält sich deswegen traditionell mit Kritik wegen Menschenrechtsverletzungen in Tunesien zurück.

Unterdessen gab es einen versuchten Brandanschlag auf die tunesische Botschaft in der Schweizer Hauptstadt Bern. Der Sachschaden sei nur gering, teilte die Kantonspolizei mit. Es war zunächst unklar, ob es einen Zusammenhang mit der Lage im Land gab. In Paris hatte es vor einigen Tagen ebenfalls einen Anschlag auf ein Gebäude des tunesischen Konsulats gegeben.

dpa