Frau Professor Käßmann tritt ihren Dienst an
Eigentlich hat sich nichts verändert. Wo immer Margot Käßmann auftritt, schieben und schubsen die Fotografen im Kampf um die besten Plätze. Ihre Blitze tauchen die Szenerie in gleißendes Rampenlicht. Die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat am Mittwoch ihre Gastprofessur an der Ruhr-Universität in Bochum, der größten Hochschule im Ruhrgebiet, angetreten.
12.01.2011
Von Rolf Stegemann

Vor einem Jahr sah der Kosmos der 52-jährigen Theologin noch ganz anders aus. Als erste Frau stand sie an der Spitze der evangelischen Kirche, hatte den Zenit kirchlicher Macht und gesellschaftlicher Popularität erreicht. Dann die Alkoholfahrt, anschließend der Rücktritt von allen kirchlichen Ämtern, die Auszeit in den USA. Nun also Bochum.

Erst spät kommt Beifall für den Vortrag

Und Bochum ist dankbar. Die rund 1.800 Plätze im größten Hörsaal der Hochschule, dem Audimax, sind bis auf einige wenige Plätze besetzt. "Selbst wenn hier unsere Symphoniker spielen, ist es nicht so voll", wundert sich ein alteingesessener Bochumer. Studierende sind klar in der Minderheit, dafür ist das Durchschnittsalter deutlich angehoben. Das Bildungsbürgertum des Ruhrgebiets feiert Kirchentag - oder Käßmann 21.

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Die Ex-Bischöfin selbst wirkt in diesen Tagen angestrengt. Selten ist ihr typisch strahlendes Lachen zu sehen, mit dem sie so viele Menschen anspricht. Die erste Inhaberin der neu eingerichteten Max-Imdahl-Gastprofessur arbeitet sich in ihrer öffentlichen Antrittsvorlesung zu Beginn ernst und konzentriert durch ihr Thema "Multikulturelle Gesellschaft - Wurzeln, Abwehr und Visionen". Erst im weiteren Verlauf des Vortrags gewinnt sie an Lockerheit, finden auch die kleinen Sprachwitze ihr Publikum, brandet sogar vereinzelt Beifall auf.

Auch bei Anne und Gerd Schmiechen, beide 70 Jahre alt und gespannt auf die Vorlesung. Sie haben sich extra von Essen aus mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf dem Weg zum Bochumer Campus gemacht, weil sie die streitbare Protestantin und ihre Botschaft schätzen. "Ich mag ihre politische Wachheit und ihre entschiedenen Stellungnahmen", sagt die pensionierte Religionslehrerin.

Abstand zu gewinnen wird für Käßmann nicht leicht

Auch Petra Lauer schätzt Käßmanns klare Sprache - und will das durchaus auch als Kritik an der tagtäglichen Kirchensprache verstanden wissen. Skeptisch wird die 56-jährige ehemalige Buchhändlerin nur, wenn sie auf die Publizistin Käßmann zu sprechen kommt. Da wünsche sie sich, dass sich die Theologin auf das Wichtige und Wesentliche konzentriere. Über 40 Bücher hat Käßmann in den letzten zehn Jahren veröffentlicht, drei neue sind für die kommenden Monate angekündigt.

Käßmann wollte nach ihrem Rücktritt Abstand gewinnen, ging in die USA. Doch die ersten Auftritte nach ihrer Rückkehr zeigen, dass es nicht einfach für sie werden wird, eine angemessene Rolle im deutschen Protestantismus zu finden. Die Gastprofessur an der Bochumer Uni sorgt zwar für einen weiteren Aufschub. Aber es wird in den kommenden Monaten von ihren öffentlichen und öffentlichkeitswirksamen Auftritten abhängen, wie sehr ein Teil der nicht nur kirchlichen Öffentlichkeit sie weiter zum Popstar des Protestantismus erhebt.

epd

Nachtrag 13. Januar: Hier ist noch die vollständige Antrittsrede im Videomitschnitt:

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