Um exakt 16.53 Uhr (Ortszeit) soll das gesamte Leben in Haiti stillstehen, um an die über 220.000 Toten der Katastrophe vom 12. Januar 2010 zu erinnern.
Über den Erdbebengebieten sollen Tausende von weißen Luftballons aufsteigen. Danach sind in den haitianischen Städten von den Behörden organisierte Aktivitäten unter dem Motto "Feier des Lebens" geplant. Bei dem Erdbeben starben auch 102 UN-Mitarbeiter.
Mehr Schutz für Frauen und Mädchen gefordert
An den Veranstaltungen nahm auch der frühere US-Präsident und UN-Beauftragte für die Haiti-Hilfe, Bill Clinton, teil, der am Dienstag zu einem zweitägigen Besuch anreiste. Die Europäische Union und internationale Hilfsorganisationen forderten mehr Hilfe für den bitterarmen Karibikstaat. Die Menschen leiden noch immer unter den Folgen des Bebens, der Wiederaufbau kommt nur stockend voran. Die Zahl der Choleraopfer steigt weiter an: Die Behörden registrierten bislang mehr als 3.700 Tote.
Zum ersten Mal war eine von der Regierung organisierte Gedenkfeier in Titanyen geplant. Dort, nördlich der bei dem Beben weitgehend zerstörten Hauptstadt Port-au-Prince, wurden mehr als 100.000 Erdbebentote in Massengräbern beerdigt. Seit Dezember werden dort auch die Choleratoten beigesetzt. Die Seuche war im Oktober ausgebrochen.
Mehrere Organisationen verlangten mehr Schutz für Frauen und Mädchen in Haiti. Unter den Augen der Behörden und internationalen Organisationen habe sich nach dem Erdbeben eine "Epidemie der sexuellen Gewalt" ausgebreitet, teilten Hilfsorganisationen mit.
Es werden noch immer Spenden gebraucht
Die haitianische Regierung, die Vereinten Nationen und die internationale Gemeinschaft hätten versagt, hieß es in einem Bericht, der unter anderem vom Institut für Gerechtigkeit und Demokratie in Haiti und der Universität von New York verfasst wurde. "Es ist Zeit, eine effektive Antwort auf die sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu finden, die in den Obdachlosenlagern leben", schrieben die Autoren weiter.
Anlässlich des Jahrestages riefen Hilfsorganisationen erneut zu Spenden für Haiti auf. Der Karibikstaat habe "ein Jahr des Schreckens" hinter sich, erklärte die deutsche Welthungerhilfe am Dienstag in Hamburg: Erst das Erdbeben, dann der Hurrikan "Tomas" und schließlich die Cholera. Die Welthungerhilfe will 2011, wie im vergangenen Jahr, mit 13,4 Millionen Euro helfen. Ein Fünfjahresplan soll etwa 50 bis 60 Millionen Euro umfassen.
"Das größte Problem ist ein anderes"
"So schlimm das Erdbeben auch war, es war nicht das größte Problem Haitis", sagte die für Katastrophenhilfe zuständige EU-Kommissarin Kristalina Georgiewa am Dienstag in Brüssel. "Das größte Problem ist der Mangel an Institutionen und an guter Regierungsführung. Dieser Mangel an Entwicklung ist unsere eigentliche Hauptaufgabe", erklärte sie. Die Bildung einer neuen Regierung, die den Wiederaufbau managen könnte, hat sich verzögert, da die Präsidentenwahlen im vergangenen November in Chaos endeten. Bisher ist nicht klar, wann es mit mit welchen Kandidaten zu einer Stichwahl um das Präsidentenamt kommen wird.
"Die aktuelle politische Lage erfüllt uns mit großer Sorge", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung Georgiewas und des für Entwicklungspolitik zuständigen EU-Kommissars Andris Piebalgs. "Die derzeitige Instabilität verhindert, dass die humanitäre Hilfe der EU bei den Bedürftigen ankommt, und verlangsamt und erschwert den Wiederaufbauprozess." Dies beeinträchtige das Bemühen um langfristige Stabilität und eine Reduzierung der Armut. Haitis Behörden müssten dafür sorgen, "dass freie und transparente Wahlen stattfinden können".
Die EU hatte nach dem Erdbeben zunächst 320 Millionen Euro für Soforthilfe ausgegeben. Später wurden 1,2 Milliarden Euro für den mittel- und langfristigen Wiederaufbau des Landes bereitgestellt. Davon wurden nach Angaben der EU-Kommission bisher 332 Millionen Euro bereits ausgegeben. Im laufenden Jahr sollen 150 Millionen Euro für Entwicklungsvorhaben ausgegeben werden, sagte Piebalgs. Dieser Betrag wird im kommenden Jahr auf knapp 300 Millionen Euro steigen. "Das alles wird Zeit brauchen", sagte Georgiewa. "Dies ist kein Problem nur für die nächsten fünf Jahre."