Der Sudan braucht weiter unsere Aufmerksamkeit!
Der Sudan steht vor der Teilung, der christliche Süden des gebeutelten Landes spaltet sich voraussichtlich ab. Am Sonntag beginnt die Volksabstimmung über die Unabhängigkeit. Wie kam es dazu, und wie geht es weiter? In einem Beitrag für evangelisch.de analysiert der ehemalige Sudanbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Gerrit Noltensmeier, die Situation und die Probleme, die sich nach einer möglichen Teilung des Landes stellen. Der Sudan, so sein Fazit, braucht weiterhin die Aufmerksamkeit und die Hilfe des Westens.
08.01.2011
Von Gerrit Noltensmeier

Am Sonntag ist es so weit. In einem Referendum wird die Bevölkerung des teilautonomen südlichen Sudan darüber abstimmen, ob die staatliche Einheit des größten Landes Afrikas erhalten bleibt oder ob der schwarzafrikanische Süden den Weg in die ganz eigenständige Unabhängigkeit geht. Im Juli 2005 hatte ein "umfassendes Friedensabkommen" (Comprehensive Peace Agreement, CPA) einen schrecklichen Bürgerkrieg beendet.

Rund 20 Jahre zuvor hatte sich die schwarze Bevölkerung des Südens, überwiegend Christen und Anhänger indigener Religionen, gegen die fortgesetzte Dominanz der machtgewohnten, arabischstämmigen und islamischen Herrschaftseliten in und um Khartum erhoben. Im Süden hatte die schwarze Bevölkerung seit Jahrhunderten die Versklavung junger Menschen erlebt, die in den Norden verschleppt wurden. Man erlebte Missachtung, Ausbeutung, Marginalisierung und Rechtlosigkeit.

Scharia löste Aufstand aus

Die damals von der Zentralregierung geplante Ausdehnung der islamischen Scharia auch auf den Süden des Landes war das Fanal zum Aufstandes. Die südsudanesische Befreiungsbewegung SPLM und die islamische, zunehmend islamistische Regierung standen sich in einem quälenden Bürgerkrieg gegenüber. Millionen kamen um, Millionen verloren als Flüchtlinge ihre Heimat.

Unter internationalem Druck wurden in dem Friedensabkommen Schritte zur Befriedung vereinbart: gemeinsame Teilhabe an der politischen Verantwortung; gerechte Verteilung der enormen Einnahmen aus der Ölförderung; eine Volkszählung, freie Wahlen. Und schließlich das Referendum mit der Frage: Einheit des Landes oder Unabhängigkeit des Südens.

Hoffnung auf Einheit trog

2005 mochte bei manchen die Hoffnung lebendig sein, es könnte gelingen, einen neuen, einigen Sudan zu gestalten; es könnte gelingen, die Bevölkerung des Südens durch eine "Friedensdividende" aus der Armut zu befreien; es könnte so das Festhalten an der Einheit des Landes attraktiv werden. Aber das Misstrauen lähmte, die Umsetzung des Friedensabkommens wurde verschleppt. Die Machthaber im Norden nutzten ihre Vormacht hemmungslos, die Befreiungsbewegung im Süden schaffte den Übergang hin zu einer zivilen Regierung kaum: die Infrastruktur des Landes blieb weit hinter dem Erhofften zurück, Schul-, Bildungs- und Gesundheitswesen wurden weiter vernachlässigt. Korruption und Vetternwirtschaft blühen.

Die Friedensdividende aus dem Ölgeschäft erreichte die Armen fern von den Zentren der neuen Mächtigen nicht. Das Stammesdenken schürt die Feindschaft. Nomaden und Bauern leben in archaischen Konflikten. Der Klimawandel lässt fruchtbares Land knapper werden. Darfur, die westliche Provinz des Landes, brennt weiter.

Kirchen genießen hohes Ansehen

Die christlichen Kirchen sind in den Zeiten des Bürgerkrieges deutlich gewachsen. Sie genießen Ansehen über die Grenzen der eigenen Religion hinaus. Sie stellen Netzwerke der Information und der diakonischen Tätigkeit dar. Versöhnungsarbeit zwischen den verfeindeten Gruppen ist Programm. Die Vorbereitung der Menschen auf mündiges, verantwortliches Entscheiden ist eine riesige Aufgabe. Die meisten Menschen hatten niemals im Leben eine Wahl oder Abstimmung erlebt.

Zugleich sind die Möglichkeiten der Kirchen begrenzt. Der Gedanke des ökumenischen Miteinanders wird nicht immer deutlich genug gelebt. Immer wieder werden die Kirchen an der Entfaltung ihrer Arbeit gehindert. Der Sudanesische Christenrat ist ein eher schwaches Instrument, das Miteinander zu festigen. Viel Respekt erleben die entwicklungsbezogenen Dienste, die aus Deutschland getragen werden: Brot für die Welt, Evangelischer Entwicklungsdienst, Diakonie Katastrophenhilfe auf evangelischer Seite. Sie lassen in vielen Projekten den Respekt vor den Menschen vor Ort erleben, erschließen neu die oft verschütteten Ressourcen im Land, halten Hoffnung lebendig.

Das Referendum nun im Süden: Es gibt keinen Zweifel daran, dass die überwältigende Mehrheit der Schwarzen für die Unabhängigkeit stimmen wird. Föderale Modelle haben mit ihren komplexen Strukturen die Menschen kaum erreicht oder gar überzeugt. Ob die 60 Prozent Wahlbeteiligung, die für das Gelingen des Referendums nötig sind, erreicht werden? Die Registrierung der Wahlberechtigten stellt in dem riesigen, weitläufigen Land ein großes Problem dar.

Was kommt nach der Teilung?

Und danach? Wesentliche Entscheidungen über die Grenzziehung zwischen Nord und Süd stehen noch aus, zumal da, wo die großen Ölvorkommen sind. Was wird mit dem Ölgeschäft? Was wird mit den Minderheiten in einem dann ganz islamisch dominierten Norden? Mit den Flüchtlingen aus dem Süden, die im Norden leben? Wer wird im Süden die Autorität und die Kraft haben, den Frieden zu gestalten?

Werden die Fliehkräfte des Stammesdenkens im Süden eine neue Dynamik bekommen - ohne den gemeinsamen "Feind" im Norden? Wird der Norden wirklich die Entscheidung im Süden respektieren, wie jetzt versichert wird? Oder wird man bald einen Vorwand finden, als Ordnungsmacht bei Konflikten einzuschreiten? Werden die Kräfte des Separatismus in dieser Region Afrikas, in der staatliches Handeln vielfach verfällt, zerstörerisch wirken?

Die christlichen Kirchen des Landes haben vom "Kairos" gesprochen, der Entscheidungszeit. In jedem Fall wird es in solcher Zeit internationale Aufmerksamkeit und Hilfsbereitschaft brauchen, die dazu helfen können, das Land vor neuer Rechtlosigkeit, gar dem Chaos zu bewahren.


Dr. Gerrit Noltensmeier (69) war von 1996 bis 2005 Landessuperintendent der Lippischen Landeskirche und zugleich stellvertretender Moderator des Reformierten Bundes. Von 2006 bis vor wenigen Monaten war er Sudanbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Sein Nachfolger in dieser Funktion ist Volker Faigle. Foto: epd-bild / Norbert Neetz