Sudan steht vor einer historischen Entscheidung
Historisches Votum im Sudan: An diesem Sonntag beginnt im Südsudan das Referendum über eine staatliche Unabhängigkeit. Rund 3,9 Millionen Menschen sind aufgerufen, bis voraussichtlich Samstag ihre Stimme abzugeben. Seit 2005 hat der ölreiche Südsudan einen halbautonomen Status. Eine Mehrheit an Ja-Stimmen vorausgesetzt, könnte der südliche Landesteil nach bisherigem Zeitplan am 9. Juli unabhängig werden.

Bereits am Freitag begannen die Menschen im Südsudan, die Abstimmung als "letzte Etappe zur Freiheit" mit Musik und Tanz zu feiern. Mit einem klaren Votum für eine Abspaltung des südlichen Landesteils vom islamisch-arabisch geprägten Nordsudan wird gerechnet. Im Süden leben vor allem Christen und Anhänger von afrikanischen Religionen.

Das Referendum ist Bestandteil des Friedensvertrags von 2005, mit dem ein zwei Jahrzehnte währender Bürgerkrieg zwischen der Regierung im Nordsudan und südsudanesischen Rebellen beendet wurde. Der UN-Sicherheitsrat appellierte erneut an alle Parteien im Sudan, für einen friedlichen und geordneten Ablauf der Abstimmung zu sorgen. Die Bundesregierung forderte am Freitag dazu auf, das Ergebnis zu akzeptieren. Als ermutigend wurde in Berlin und Brüssel gewertet, dass dies der sudanesische Staatschef Omar Hassan al-Baschir am Dienstag noch einmal beteuert hatte.

Vorsichtiger Optimismus

Die internationale Gemeinschaft zeigte sich vorsichtig optimistisch. Die Leiterin der EU-Beobachtermission, Véronique De Keyser (Foto: epd-bild / Eberhard Laue), sagte dem Evangelischen Pressedienst vor ihrem Abflug in den Südsudan, die Abstimmung sei organisatorisch und technisch gut vorbereitet. Zwar schloss sie gewaltsame Zwischenfälle an einigen Orten nicht aus. Doch mit Einschüchterungen in größerem Stil rechnet sie schon allein wegen der starken internationalen Präsenz nicht. Alles in allem werde das Referendum wohl sehr viel kontrollierter ablaufen als die allgemeinen Wahlen im Sudan im April 2010: "Man kann sie als Probelauf für das anstehende Referendum sehen. Ich denke, das Land hat viel dazugelernt."

Anlass zur Hoffnung gibt nach den Worten de Keysers auch die Ankündigung des sudanesischen Präsidenten Omar Hassan al-Baschir, den Ausgang des Referendums zu respektieren. Schwierigkeiten bereite allerdings nach wie vor die schwache Infrastruktur. De Keyser: "Der Transport der Menschen zu den Wahllokalen ist ein großes Problem." Die belgische Europaparlamentarierin leitet ein rund 100-köpfiges EU-Beobachterteam, zu dem auch fünf Deutsche gehören. Sie sprach sich dafür aus, das auf sieben Tage angesetzte Referendum zu verlängern, sollten viele Menschen die Abstimmungsorte nicht rechtzeitig erreichen.

Zukunft der Ölregion Abiyei offen

Die Abstimmung erlangt nur Gültigkeit, wenn 60 Prozent der rund 3,9 Millionen registrierten Stimmberechtigten daran teilnehmen. Außer im Süden des Sudans können Südsudanesen auch im Norden des Landes und in acht weiteren Staaten abstimmen. Die Zukunft der umstrittenen Region Abiyei mit ihren reichen Ölvorkommen werde zunächst weiter ungewiss bleiben, sagte De Keyser. Geplant ist, dass die Bewohner in einem eigenen Referendum über die Zugehörigkeit zum Norden oder Süden entscheiden sollen. "Ich erwarte nicht, dass dies in naher Zukunft geschieht", sagte die Parlamentarierin. Möglich sei auch, dass die Streitfrage auf politischem Weg ohne ein Referendum entschieden werde.

Menschenrechtler forderten unterdessen die Auslieferung al-Baschirs an den Internationalen Strafgerichtshof. Die internationale Gemeinschaft müsse die Ablösung Al-Baschirs wegen seiner Verantwortung für Völkermord und Krieg durchsetzen, forderte der Leiter der Gesellschaft für bedrohte Völker, Tilman Zülch. Eine Absetzung des sudanesischen Machthabers wäre zugleich eine große Chance für eine Demokratisierung des nördlichen Sudan, betonte Zülch. Der Strafgerichtshof in Den Haag hatte 2009 einen Haftbefehl gegen Al-Baschir wegen Kriegsverbrechen in der westsudanesischen Region Darfur erlassen. Zülch äußerte sich zuversichtlich über einen Erfolg des Referendums: "Es wird einen neuen Staat in Afrika geben."

epd