Hochtief: Neue Spielregeln für Heuschrecken tun Not
Ein marodes Bauunternehmen übernimmt einen potenten Weltkonzern: Möglich wird die feindliche Übernahme erst durch das deutsche Aktienrecht. Der spanische Konzern ACS hat sein wichtigstes Ziel für die Übernahme der Essener Hochtief AG erreicht und durch ein Übernahmeangebot die Hürde von 30 Prozent übersprungen. Damit haben die Spanier zumindest aktienrechtlich die Kontrolle bei Hochtief übernommen. Anfang Februar soll das Verfahren abgeschlossen sein. Es ginge auch anders.
07.01.2011
Von Hermannus Pfeiffer

Manchester United heißt der bekannteste Verlierer, der einer "Heuschrecke" unterlag. Amerikanische Investoren kauften 2005 die weltberühmte Fußballfirma - gegen den Widerstand von vielen Aktionären, Politikern und Fans. Zuvor war in einem mehrjährigen Vorspiel um die Mehrheit gerungen worden. Das zum Kauf aufgenommene Milliarden-Darlehen schrieben die Käufer dann später auf den Verein um. Manchester United finanziert seither seine eigene feindliche Übernahme selber.

Auch wenn der Übernahmestreit um Hochtief spanische Züge trägt, schwingt Manchester ebenso mit wie frühere Diskussionen um "Heuschrecken" (so genannt vom damaligen SPD-Chef Franz Müntefering) und schlechte Erfahrungen von vielen deutschen Mittelständlern, die von Finanzinvestoren gekauft und nach angelsächsischem Muster ausgeschlachtet wurden. In anderen Fällen erwiesen sich feindliche Übernahmen jedoch als Segen für die Zielunternehmen und sogar für ihre Beschäftigten, bekanntes Beispiel aus Deutschland ist der einst bankrotte Computerhersteller Nixdorf. Es geht letztlich nicht um gute oder böse Spekulanten, es geht schlicht um unterschiedliche Interessen.

Billigrechtland Deutschland

Der Fall Hochtief in Kürze: ACS-Boss Florentino Pérez reagiert auf das Ende des Immobilienbooms in seinem Heimatmarkt Spanien mit dem raschen Ausbau des internationalen Geschäfts. "ACS Actividades de Construcción y Servicios" diversifizierte, beteiligte sich an Bezahlautobahnen, kaufte sich in die Telekommunikation und Energieversorgung ein. Nun will ACS mit Hochtief in die Märkte USA, Australien und Deutschland vordringen.

Kritiker in Deutschland halten solche strategischen Argumente allerdings für Alibis. Für sie will die hoch verschuldete Heuschrecke aus Spanien in Deutschland schnell Kasse machen, in dem sie einen international erfolgreichen Konzern kauft, ausschlachtet und diesen dafür auch selber bezahlen lässt - Manchester United lässt grüßen.

Möglich wird der ACS-Deal erst durch Aktienrechts-Arbitrage. Der transfererprobte Pérez - als Präsident von Real Madrid "kaufte" er die sündhaft teuren Fußballer Zinédine Zidane (75 Millionen Euro) und Christiano Ronaldo (100 Millionen Euro) - hat sich mit Deutschland das Land mit einem der schwächsten Schutzwälle gegen Übernahmen ausgesucht.

Das deutsche Billigrecht macht Hochtief zu einem Luxusziel zum Ramschpreis. Anders als in Frankreich, Großbritannien oder Spanien gibt es seit der Aktienrechtsreform 1998 der schwarz-gelben Regierung Helmut Kohls kein Höchststimmrecht und keine goldene Aktie mehr. Beides hätte Pérez die Spielfreude bereits im Vorspiel verleidet. Und anders als in der Schweiz und vielen anderen europäischen Ländern muss ACS nach dem Überspringen der 30-Prozent-Hürde für den Kauf weiterer Aktien den anderen Altaktionären kein (hohes) Pflichtangebot mehr machen. Das ist fast nur in Deutschland so. Für Hochtief ist das keine gute Nachricht.

Fairer Wettbewerb reicht nicht

Eine Reform des Übernahmerechtes wird seit November im Bundestag besprochen. Die Europäische Union denkt über ein "Level Playing Field" nach, das allen Akteuren rechtlich das gleiche Spielfeld bereitstellt. Fairer Wettbewerb wäre jedoch nicht genug für ein gutes Spiel für alle. Um wirklich gleiche Regeln für alle zu schaffen, müsste einiges geändert werden:

Realwirtschaft. Kapital soll "arbeiten". Dazu muss es in die Realwirtschaft investiert werden. Das schafft eine moderne Wirtschaft, schafft Arbeitsplätze und sichert Steuereinnahmen für den Staat. Gewinne aus Übernahmen und Aktienspekulationen sollten darum mit dem Höchststeuersatz plus X besteuert und der Kauf sowie Verkauf von Aktien mit einer Umsatzsteuer belegt werden. Dagegen werden Dividenden aus einer langfristigen Aktienanlage in einem Unternehmen steuerlich begünstigt.

Aktionäre. "Kleine" Aktionäre sind gegenüber "großen" Aktionären benachteiligt. Aktiengesellschaften sollen (wieder) beschließen können, dass sie Publikumsgesellschaften mit vielen Kleinaktionären bleiben. Dazu könnten die Stimmrechte einzelner Aktionäre beschränkt werden. Zweckmäßiger wäre eine Beschränkung der Anteile, die ein einzelner Aktionär erwerben darf, auf unter 1 Prozent. Dadurch hätten Sparbuch-Sparer die gleichen Gewinnchancen wie "institutionelle Anleger" und könnten an den Extragewinnen der großen Aktiengesellschaften teilhaben.

Banken. Der Einfluss der Banken und Fonds ist nach wie vor zu hoch und fördert provisionsträchtige Übernahmen und spekulative Exzesse. Daher muss das Depotstimmrecht abgeschafft werden, bei dem Kunden ihre Stimmrechte "blind" an Finanzinstitute abtreten. Stattdessen sollte in den Hauptversammlungen das Prinzip "Ein Mensch, eine Stimme" gelten.

Volkswirtschaft. Auch für Deutschlands Volkswirtschaft ist die Einschränkung der Übernahmemöglichkeiten sinnvoll. Dazu sollten den Beschäftigten eines Unternehmens und ihren Gewerkschaften im Aktienrecht eine Sperrklausel gegen feindliche Übernahmen eingeräumt und das Mitbestimmungsrecht erweitert werden.

Für den Transfer von Hochtief ins Madrider Fußballreich des Florentino Pérez dürfte jede Reform des Aktienrechts zu spät kommen. Doch nach dem Spiel ist vor dem Spiel, und das ist bekanntlich immer das schwerste.


Hermannus Pfeiffer ist Wirtschaftsexperte und Journalist in Hamburg.