Ein neuer Autoriese kommt: Fiat koppelt Chrysler an
Fiat startet in eine neue Ära: Zuerst hat Konzernchef Sergio Marchionne die Lastwagensparte ausgegliedert, nun greift er nach der Mehrheit am US-Partner Chrysler. Die Methoden, mit denen er einen neuen Autoriesen zimmert, stoßen aber nicht überall auf Gegenliebe.
05.01.2011
Von Daniel Schnettler und Katie Kahle

"Zwei Pleitekandidaten ergeben noch lange keine Erfolgsfirma", unkte die Konkurrenz, als Fiat vor anderthalb Jahren beim insolventen US-Autobauer Chrysler einstieg. Mittlerweile sind die Kritiker verstummt. Fiat schreibt bereits wieder Gewinne, Chrysler ist auf dem besten Wege dahin. Der Plan von Doppel-Firmenchef Sergio Marchionne scheint aufzugehen: Die Schaffung eines großen, weltweit agierenden Autokonzerns.

Vielleicht schon in diesem Jahr will Fiat die Mehrheit an Chrysler übernehmen. "Ich weiß nicht, ob es wahrscheinlich ist, aber es ist möglich", orakelte Marchionne zu Wochenbeginn. Er macht den Sprung über die 50-Prozent-Marke vor allem davon abhängig, ob Chrysler 2011 an die Börse zurückkehrt. Denn sollte Chrysler diesen Gang wagen, dürfte eine Anteilsaufstockung für Fiat mit einem Schlag viel teurer kommen als jetzt.

Chrysler ist auf dem Weg zur Profitabilität

Derzeit halten die Italiener 20 Prozent an den Amerikanern und wollten eigentlich nur auf 35 Prozent aufstocken. Den Anteil hat Sparfuchs Marchionne im Gegenzug für das Versprechen bekommen, Chrysler mit importierter europäischer Technik wieder auf Vordermann zu bringen - ein Unterfangen, mit dem zuvor der deutsche Autobauer Daimler grandios gescheitert war.

Doch die Zahlen sprechen für Marchionne: Die im Krisenjahr 2009 eingebrochenen Verkaufszahlen von Chrysler haben sich wieder erholt. 2010 verkaufte der kleinste der drei US-Autokonzerne knapp 1,1 Millionen Wagen, ein Zuwachs von 17 Prozent. Gleichzeitig konnte der italienisch-kanadische Manager, dessen Markenzeichen Pullover sind, die Verluste eindämmen. Ab diesem Jahr soll Chrysler wieder schwarze Zahlen schreiben.

Parallel hat Marchionne in Italien aufgeräumt. Er hat die Lkw-Marke Iveco sowie die Agrar- und Baumaschinen von Case New Holland (CNH) vom Autogeschäft getrennt und sie als Fiat Industrial eigenständig an die Börse gebracht. "Das ist zugleich das Ende wie auch der Beginn einer neuen Ära", sagte Marchionne zu Wochenbeginn auf dem Mailänder Parkett, als der Handel mit den neuen Aktien begann. Die Auto-Fiat ist nun bereit für einen neuen Partner.

Das Ziel: Sechs Millionen Autos jährlich

Marchionne hat den über Jahrzehnte gewachsenen, italienischen Traditionskonzern letztlich aus der Not heraus zerschlagen. Weltweit würden nur sechs Autokonzerne langfristig überleben, hatte der 58-Jährige Manager schon vor zwei Jahren prophezeit. Eine Jahresproduktion von bis zu sechs Millionen Autos sei dafür nötig. Dieses Ziel will er zusammen mit Chrysler bis 2014 erreichen.

Eine Fusion der beiden Autofirmen schloss Marchionne aber erst einmal aus. Warum auch? Die Manager dies- und jenseits des Atlantiks tanzen nach seiner Pfeife. Der Vielflieger drückte durch, dass der knuffige Kleinwagen Fiat 500 in den USA über das Chrysler-Händlernetz vertrieben wird. Gleichzeitig verkauft er die nächste Generation der großen Chrysler-Limousine 300 in Europa unter der Marke Lancia.

Der Mehrheitseigner von Chrysler - die Autogewerkschaft UAW - lässt Marchionne gewähren. Der Pulloverträger sei auf dem Weg, Fiat zum Weltkonzern zu machen, kommentierten denn auch italienische Medien - allerdings nicht ohne Kritik. Denn der Mann, der Fiat auf den US-Markt zurückbringt, attackiert daheim das Tarifsystem.

Streit mit der Gewerkschaft - es droht Streik in Turin

Um einen Tarifvertrag für sein Stammwerk Turin-Mirafiori zu erzwingen, hat Fiat als mächtigster Industriekonzern des Landes gedroht, aus dem Arbeitgeberverband Confindustria auszutreten. Der linke Gewerkschaftsbund CGIL lehnt eine Einigung, die ohne seine Unterschrift zustande gekommen ist, als "skandalös und verfassungswidrig" ab. Marchionne rechtfertigt den harten Kurs damit, dass das Autogeschäft immer internationaler werde. Fiat hat Werke auch in Polen und Brasilien. Die Gewerkschaft droht nun mit Generalstreik.

Laut dem Abkommen ist Fiat zu einer Investition von rund einer Milliarde Euro bereit, um in Mirafiori ein neues Modell der Chrysler-Geländewagenmarke Jeep zu produzieren. Dafür verlangt Marchionne jedoch "flexiblere" Verträge, längere Arbeitsschichten und kürzere Pausen. Kritiker sprechen von moderner "Sklaverei", Befürworter von einer "neuen Ära des Automobils". In einem Referendum muss die Fiat-Belegschaft bis Ende Januar entscheiden, ob sie dem Pakt zustimmt.

Marchionne gilt in Italien als Retter von Fiat. Mit dem Chrysler-Deal hat er große Hoffnungen geschürt. Eine erste italienisch-amerikanische Allianz zerbrach allerdings spektakulär: General Motors hatte sich bei Fiat eingekauft - die Partnerschaft aber wurde 2005 geschieden.

dpa