Kopten zum Weihnachtsfest: "Wir wollen einen Polizeiwagen"
Nach dem Anschlag in Ägypten sorgen sich die koptischen Christen in Deutschland um ihre Sicherheit. Kurz vor dem koptischen Weihnachtsfest ist niemandem nach Feiern zumute. In drei großen deutschen koptischen Gemeinden ist die Stimmung gedrückt: Sie fürchten antikoptische Anschläge. Derweil gehen in Alexandria die Proteste der Christen weiter. Gemeinsam mit Muslimen demonstrierten sie für mehr Schutz durch die ägyptische Regierung.
05.01.2011
Von Arne Meyer, Jutta Schütz und Christian Fahrenbach

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MÜNCHEN

Pater Deuscoros El-Antony ist noch immer fassungslos. "Eine Zehn-Kilogramm-Bombe haben die Täter eingesetzt - das ist entsetzlich", sagt der 53-Jährige und schüttelt den Kopf. Doch Zeit zum Trauern hat der Priester der koptischen St. Mina- Gemeinde in München derzeit kaum. Nach dem Bombenanschlag auf seine Glaubensbrüder im ägyptischen Alexandria mit mindestens 23 Toten rufen täglich besorgte Gemeindemitglieder an, um sich über die Sicherheit der Kirche in München zu informieren. Denn an diesem Donnerstag (6. Januar) wollen die 75 koptischen Familien in der bayerischen Hauptstadt Weihnachten feiern.

"Eigentlich treffen sich an diesem Tag alle Mitglieder in der Kirche, um nach dem Gottesdienst gemeinsam zu essen, zu trinken und zu feiern", sagt Pater Deuscoros. Doch in diesem Jahr hat die Gemeinde die Feierlichkeiten abgesagt. Lediglich der Gottesdienst soll wie gewohnt stattfinden. "Wir halten es für besser, wenn die Familien den Abend zu Hause verbringen". Zum eigenen Schutz und aus Respekt vor den Anschlagsopfern, wie Pater Deuscoros betont. Zwei Familien der Münchner Gemeinde hätten Angehörige in Alexandria, die aber nicht unter den Opfern seien.

"In Deutschland sind wir frei"

Für die Sicherheit der Gemeindemitglieder in München hingegen soll an deren Heiligem Abend die Polizei sorgen. "Unsere Polizei wird verstärkt präsent sein", kündigt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) an. Pater Deuscoros rechnet damit, dass Polizisten während des Gottesdienstes den Eingang kontrollieren und vor der Kirche die Straße gesperrt wird. "Die Bedrohungslage in Deutschland ist neu für uns", sagt der Priester aus dem nordägyptischen Assuan.

Dennoch gibt er sich kämpferisch. Das Weihnachtsfest wolle sich die Gemeinde nicht verderben lassen, die Kirchentüren stünden weiterhin für jeden offen. "Wir sind zwar traurig, doch Angst vor Terroristen haben wir nicht", sagt der Ägypter, der neben den Münchner Kopten auch eine kleine Gemeinde in Nürnberg betreut. Deutschland sei für viele eine zweite Heimat geworden. "Hier sind wir frei."

STUTTGART

Das Grauen des Neujahrsanschlag reicht auch bis in die idyllische St.-Georg-Kirche in Stuttgart, die Hauptkirche der Kopten in Baden-Württemberg. Die Gemeindemitglieder, von denen ebenfalls viele Verwandte in Ägypten haben, einigten sich ebenfalls darauf, nach ihrem Weihnachtsgottesdienst am 7. Januar nicht wie sonst gemeinsam zu feiern. Grund dafür sei aber nicht die Angst vor Anschlägen, sondern vielmehr die Trauer um die Toten von Alexandria, erklärt Gemeindeoberhaupt Johannes Ghali.

"Wir haben am Sonntag in der Predigt über den Anschlag informiert", sagt Ghali in schwarzer Robe mit silbernem Kreuz um den Hals, während er in einem Nebenraum der Kirche sitzt. "Es gab selten Angst, aber alle wollen wissen, was genau passiert ist", fasst er die Stimmung seiner Gemeinde zusammen. Beim Blick auf das koptische Weihnachtsfest hat Ghali zwiespältige Gefühle. Die Drohungen im Internet hätten sich schließlich gegen die gesamte koptische Kirche gerichtet. Trotzdem spüre er vor Ort keine große Gefahr: "Unser Beschützer ist Gott."

Die Polizei hat zwar schon vor Weihnachten angerufen, weil es auch vor dem Anschlag in der Neujahrsnacht bereits Drohungen gegeben hatte. Aber besondere Sicherheitsvorkehrungen gebe es nicht, sagt ein Polizeisprecher. "Wir haben keine konkreten Hinweise für ein Anschlagsziel in Stuttgart."

BERLIN

Priester Gerges El Moharaky wird zum Weihnachtsfest der koptischen Christen in Berlin unter dem weißen Festgewand aus feiner Seide die dickere Alltagskutte tragen. "Sonst fange ich beim Gottesdienst noch zu zittern an", sagt der 51-Jährige in der eiskalten Glaubenskirche im Stadtteil Lichtenberg. Der aus Ägypten stammende Mönch ringt nach dem Anschlag auf Glaubensbrüder in seiner Heimat, bei dem mehr als 20 Menschen starben, um Fassung.

Weihnachten, das die Kopten traditionell am Abend des 6. Januar begehen, wird für die 100 Familien der Berliner Gemeinde in diesem Jahr anders sein. "Der Gottesdienst wird auf drei Stunden verkürzt, danach gehen wir nach Hause. Das gemeinsame Essen fällt aus", sagt Vorstandsmitglied Ramses Ibrahim. "Wir haben keine Angst vor einem Anschlag - aber wir können doch nach der Ermordung unserer Brüder und Schwestern in Alexandria nicht noch feiern." Einen Trauergottesdienst soll es am Sonntag geben.

"Wir wollen einen Polizeiwagen"

Bisher sei das Festessen nach dem Gottesdienst in einem Seitenraum der Glaubenskirche ein Höhepunkt des Gemeindelebens gewesen, erzählt der bärtige Mönch mit bestickter Kappe, der vor zehn Jahren nach Deutschland kam. Sein Handy klingelt immer wieder, seine Meinung ist nach dem Anschlag in Ägypten gefragt.

"Wir wären glücklich, wenn wir aus einem anderen Anlass in den Mittelpunkt des Interesses gerückt wären", sagt Ibrahim, der seinem Glaubensvorsteher in Deutsch assistiert. Ob die Gemeinde Anschläge radikaler Muslime fürchte? Nach den Drohungen, die im Internet aufgetaucht sind, habe sich die Gemeinde an die Polizei gewandt, erzählen mehrere Gemeindemitglieder. "Wir wollen einen Polizeiwagen vor der Tür", meinen die Männer ernst.

Wie der Weihnachtsgottesdienst nun geschützt wird, sei aber noch nicht klar. Die Berliner Polizei sieht nach eigenen Angaben zurzeit keinen Grund, die ohnehin hohen Sicherheitsmaßnahmen zu verändern.

ALEXANDRIA

Kirchenvertreter in Alexandria sagten am Dienstag, bei insgesamt vier Kirchen in der Stadt seien Drohungen eingegangen. Unter den Gotteshäusern, denen man mit Bombenanschlägen während der koptischen Weihnachtsmessen drohte, sei auch jene Kirche, vor der in der Silvesternacht der Anschlag ereignet habe.

In Alexandria erlagen am Dienstag zwei weitere Christen den Verletzungen, die sie bei dem Blutbad erlitten hatten. Damit erhöht sich die Zahl der Opfer auf mindestens 23. Insgesamt 20 Opfer wurden bislang identifiziert. Die ägyptische Regierung hatte schon bald nach dem Anschlag ausländische Terroristen mit Verbindung zum Terrornetzwerk Al-Kaida für das Massaker verantwortlich gemacht.

Die Protestaktionen von Christen gegen den Anschlag gingen derweil weiter. An einigen Demonstrationszügen beteiligten sich auch Muslime. Das Oberhaupt der koptisch-orthodoxen Kirche Ägyptens, Papst Schenuda III., hatte nach gewaltsamen Protesten vom Wochenende die jungen Christen des Landes am Montagabend im staatlichen Fernsehen aufgefordert, Ruhe zu bewahren. Gewalt sei kein Weg, Probleme zu lösen.

dpa