"Jahr der Pflege" beschert Bürgern neue Belastungen
In diesem Jahr werden die Weichen gestellt für die nächste Reform der Pflegeversicherung. Sie wird den Bürgern höhere Beiträge bescheren. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) vermeidet aber einstweilen jede konkrete Äußerung über Art und Höhe der neuen Belastungen. "Wir fangen nicht mit der Frage der Finanzierung an", sagte er kürzlich in einem Interview. Nur so viel: Das Jahr 2011 solle "zum Jahr der Pflege werden".
02.01.2011
Von Bettina Markmeyer

Gleichwohl ist der Weg zwischen Union und FDP bereits vereinbart. Die umlagenfinanzierte Pflegeversicherung soll durch private Versicherungen ergänzt werden. Im Koalitionsvertrag steht, der Aufbau dieses Kapitalstocks müsse "verpflichtend, individualisiert und generationengerecht ausgestaltet sein". Das heißt, jeder muss eine private Zusatzversicherung abschließen. Von zehn bis 20 Euro Monatsprämie wird in der Branche der Privatversicherer (PKV) gesprochen.

Oliver Stenzel, Sprecher des PKV-Verbandes, bezeichnet diese Beträge, über die nun spekuliert wird, indes als "nicht seriös". Erst wenn die politischen Rahmenbedingungen bekannt seien, könne man beginnen zu rechnen. Von der Sache her sei allerdings ein Vertrag pro Bürger sinnvoll, sagt Stenzel: "Kapitaldeckung funktioniert am besten, wenn man früh damit anfängt."

Gegen den Solidargedanken

Im Gegensatz dazu kritisierte der GKV-Spitzenverband, das individuelle Ansparen widerspreche dem Solidargedanken in der Pflegeversicherung. Vorstandsmitglied Gernot Kiefer erklärte, der Kapitalstock müsse kollektiv aufgebaut werden. Das Risiko pflegebedürftig zu werden, sei ungleich verteilt. Deshalb seien auch die Kosten für die Versicherten unterschiedlich und müssten von allen getragen werden, argumentieren die gesetzlichen Krankenkassen.

Minister Rösler gibt unterdessen wenig Orientierung. Es sei überhaupt nicht geklärt, wie die ergänzende Versicherung aussehen solle, sagte er kürzlich. Dann sprach er lieber vom Fachkräftemangel in der Pflege und überlasteten Angehörigen. Er will alle Gruppen zu Dialog-Veranstaltungen in sein Ministerium einladen. Die Berufsverbände waren schon da, Mitte Februar kommen die Angehörigenverbände.

Damit wählt der FDP-Politiker eine ähnliche Methode wie seine Vorgängerin Ulla Schmidt (SPD). Auch Schmidt hatte zunächst einen Beirat eingesetzt und alle Beteiligten Vorschläge für eine bessere Pflege erarbeiten lassen - um es anschließend bei der Bevölkerung mit der Botschaft von Beitragsanhebungen leichter zu haben. Zur Reform war die große Koalition aus SPD und Union dann aber vor der Bundestagswahl nicht mehr bereit.

Bericht liegt auf Eis

Der Bericht zur Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs, den Ulla Schmidt bestellt hat, liegt seit Mai 2009 vor - und er liegt auf Eis. Er zielt im Kern darauf, die wachsende Zahl der Demenzkranken besser zu versorgen und mit fünf statt der bisherigen drei Pflegestufen von der Pflege im Minutentakt wegzukommen. Das will auch Rösler. Ob aber die schwarz-gelbe Koalition auf den Schmidt-Beirat zurückgreifen wird, ist offen - zumal die oppositionelle SPD im Bundestag darauf drängt. Rösler setzt hingegen auf eine Regierungs-Arbeitsgruppe.

Denn die einvernehmlichen Vorschläge des Schmidt-Beirats sind zwar vernünftig, kosten aber Geld. Eine bessere Betreuung von Demenzkranken wäre ohne Beitragserhöhungen nur finanzierbar, wenn bei anderen Pflegebedürftigen Abstriche gemacht werden. Das ist politisch nicht durchsetzbar. Das Pflegegeld für Angehörige und die Pflegesätze für die Heime reichen schon heute nicht aus.

Wunsch nach besserer Pflege

Viele Menschen wünschen sich eine bessere Pflege. Doch die Pflegeversicherung kann das nicht bezahlen. Selbst wenn an der gegenwärtigen Versorgung nichts verbessert wird, können spätestens 2014 die Ausgaben bei der Pflege nicht mehr durch Einnahmen oder Rücklagen finanziert werden, sagt GKV-Spitzenverbands-Vorstand Kiefer: "Wenn sich sonst nichts ändert, müsste der Beitragssatz von jetzt 1,95 Prozent um etwa 0,15 Prozentpunkte erhöht werden."

Knapp 20 Milliarden Euro hat die Pflegeversicherung 2009 ausgegeben, fast drei Milliarden Euro mehr als noch 2005, und die Ausgabenkurve weist weiter nach oben. Zwar sind auch die Rücklagen im selben Zeitraum von rund drei auf 4,8 Milliarden Euro gewachsen, doch die Ausgaben steigen schneller. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts könnte sich die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2050 auf 4,5 Millionen verdoppeln - bei einer sinken Zahl von Menschen, die deren Betreuung bezahlen müssen.

epd