Neujahrsbotschaften: Kirche will mehr Gerechtigkeit
Die Spitzenvertreter der evangelischen Landeskirchen in Deutschland hoffen auf mehr soziale Gerechtigkeit im Jahr 2011: In Neujahrsbotschaften rufen sie zur Bekämpfung der Armut auf. Zum Teil beklagen die führenden Geistlichen eine wachsende Kluft zwischen Reich und Arm sowie Bildungsungerechtigkeit in Deutschland.

Um Wirtschafts- und Finanzkrisen zu überwinden, müssten die Stärkeren zur Bewältigung der Krise mehr beitragen als die Schwächeren, erklärte der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung am Donnerstag in Darmstadt.

Der bayerische Landesbischof Johannes Friedrich legte die biblische Jahreslosung 2011 aus dem Römerbrief aus. Diese lautet: "Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem" (Römer 12, 21). "Nicht immer fällt es leicht, sich so zu verhalten", erklärte Friedrich. Christen könnten jedoch darauf vertrauen, dass sie die nötige Kraft und auch den Mut bekommen, Böses mit Gutem zu überwinden, wenn sie Gott darum bitten: "Jesus hat es uns vorgelebt. Er hat die gesegnet, die ihm Böses wollten. Wenn wir uns an ihn halten, dann hat das Böse keine Chance in der Welt."

Der westfälische Präses Alfred Buß hob hervor, die Welt teile sich nicht einfach in Gut und Böse. Auch ein neues Jahr sei nicht nur großartig, erklärte er: "Es wird auch schwere Momente geben und traurige." Die Menschen könnten das Böse nicht selbst überwinden, das habe Gott jedoch schon getan. Gott nehme den Menschen in seiner Unvollkommenheit an, auch mit seinen Schatten.

Leistungen sollen Anerkennung finden

Der Berliner Bischof Markus Dröge würdigte das ehrenamtliche Engagement in Kirche und Gesellschaft und die finanzielle Unterstützung durch Menschen mit höherem Einkommen. Das Ehrenamt sei eine wesentliche Stütze in vielen Bereichen des Lebens. Wichtig sei auch, dass die finanziellen Leistungen Gutverdienender Anerkennung finden. Dank gebühre deshalb auch all jenen, die sich "als Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens oder als erfolgreiche Unternehmer mit hohen Kirchsteuerzahlungen, Kollekten und Spenden" für die Kirche einsetzen.

Die evangelischen Bischöfe in Mecklenburg-Vorpommern, Hans-Jürgen Abromeit und Andreas von Maltzahn, riefen zur gewaltlosen Überwindung gesellschaftlicher Konflikte auf. Der Schweriner Bischof Maltzahn erklärte in seiner Neujahrsbotschaft, 2011 gelte es, "Freiheit zu bewahren und zu gestalten". Der pommersche Bischof Abromeit ermutigte zum "Ausstieg aus dem Kreislauf des Bösen".

Mit denen teilen, die auf Hilfe warten

Der pfälzische Kirchenpräsident Christian Schad ermutigte dazu, an die Macht des Guten zu glauben. Diese Macht melde sich immer dann, wenn Menschen die Spirale der Gewalt durchbrechen. Erkennbar werde die Macht des Guten, wenn Menschen als Anwälte der Kinder und Familien auftreten, die in äußerer und innerer Armut leben und denen Bildungschancen verwehrt werden.

Zum Jahreswechsel warb der nordelbische Bischof Gerhard Ulrich für eine gerechtere Wirtschaft. "Die Art, wie wir mit unseren Ressourcen umgehen, hat Auswirkungen auf die Menschen, die in anderen Erdteilen leben", sagte er mit Hinweis auf den Klimawandel. Die Deutschen könnten mit einem gewissen Staunen sehen, dass wirtschaftlich schwierige Zeiten hinter ihnen liegen. Jetzt gelte es, mit denen zu teilen, die dringend auf Hilfe warten. So müsse die Entwicklungspolitik gestärkt werden.

Der anhaltische Kirchenpräsident Joachim Liebig rief zum stärkeren Engagement der Bürger in politischen Gremien auf. Zu einer lebendigen Demokratie gehöre zwar auch außerparlamentarischer Protest. Zugleich würden die gesetzlichen Rahmenbedingungen aber ebenso für Demonstranten gelten, erklärte Liebig. Um die "Lebendigkeit" parlamentarischer Prozesse wäre es viel besser bestellt, wenn wenigstens ein kleiner Teil der Demonstranten sich an ihnen beteiligen würden.

Diskussion über Afghanistan

Der Geistliche Vizepräsident des hannoverschen Landeskirchenamtes, Arend de Vries, mahnte weitere Diskussionen über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr an. Die Debatte, die die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann vor einem Jahr angestoßen hatte, dürfe nicht verstummen. Die frühere hannoversche Landesbischöfin hatte durch den Satz "Nichts ist gut in Afghanistan" in einer Neujahrspredigt eine gesellschaftliche Diskussion über den Afghanistan-Einsatz ausgelöst.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch, forderte in seiner Silvesterpredigt zupackende Reformen im Bereich der Gesundheit, Bildung und sozialen Sicherungssysteme ein. Viele katholische Geistliche griffen zudem den Missbrauchskandal in ihrer Kirche auf. Zollitsch sagte, die Kirche werde "mit Nachdruck das Mögliche tun", damit die Wunden des sexuellen Missbrauchs heilen könnten. Die Vorfälle müssten darüber hinaus sensibel machen für Gewalt und sexuellen Missbrauch "in der eignen Familie, im engsten Freundes- und Bekanntenkreis, in Schulen oder anderen gesellschaftlichen Gruppen und Einrichtungen".

Thema Missbrauch

Der Trierer Bischof und Missbrauchsbeauftragte der katholischen Bischofskonferenz, Stephan Ackermann, nannte die Frage nach einer materiellen Anerkennung für Missbrauchsopfer innerhalb der Kirche eine "gewichtige Hausaufgabe" für das Jahr 2011. Der Mainzer Kardinal Karl Lehmann rief dazu auf, das Elend der Opfer von sexuellem Missbrauch in Kirche und Gesellschaft nicht aus den Augen zu verlieren. Zugleich mahnte er im Mainzer Dom zur Abkehr von der "gebetsmühlenartigen Wiederholung der Schuld", in die die Kirche wegen des Missbrauchs gekommen sei. Eine Inflation des Dialogversprechens und der Schuldbekenntnis mache die Kirche "am Ende bei wichtigen Partnern und Instanzen lächerlich". Es brauche in einem noch tieferen Sinne Erneuerung, Ehrlichkeit und Umkehr im biblischen Sinne.

Der Kölner Erzbischof Joachim Meisner bezeichnete das Evangelium als "Garantieschein Gottes". Es erinnere an Christus als Gottes "Ja" zum Menschen und zur Welt und gebe so Kraft für das neue Jahr. Der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker rief dazu auf, Zuneigung gegen Berechnung und Leistungsdenken zu setzen. Menschliche Beziehungen dürften nicht an der Leistung und an der Brauchbarkeit des anderen gemessen werden. Der Hildesheimer katholische Bischof Norbert Trelle erinnerte in seiner Silvesterpredigt an verfolgte Christen. "Bis zum heutigen Tag werden Menschen ihres Glaubens wegen unterdrückt, terrorisiert und umgebracht", beklagte er in Hildesheim. Zum neuen Jahr bat der Bischof um Frieden, Freiheit, Gewaltlosigkeit und Gerechtigkeit für alle Völker, Kulturen und Religionen.

epd