Ist der neue Sprit "E10" wirklich umweltfreundlich?
Martin Hofstetter: Nein, ich glaube, er ist nicht umweltfreundlich. Man kann eine einfache Berechnung machen: Wenn sämtliches Benzin in Deutschland aus Ethanol produziert würde, wenn wir also nicht einen E10 sondern einen E100 hätten, dann bräuchte man fast die gesamte Ackerfläche in Deutschland, um dieses Ethanol zu produzieren. Wir hätten also sozusagen nichts mehr zu essen. Wir müssten alles importieren. Das heißt, die zusätzliche Nachfrage nach Ethanol führt zu einer Intensivierung der Landwirtschaft hierzulande, zu weltweit steigenden Agrarpreisen, zu der Zerstörung von Urwäldern weltweit. Es ist in geringem Umfang vielleicht eine sinnvolle Lösung, aber in dem Moment, in dem weltweit auf diese Karte gesetzt wird, ist es schädlich für die Menschen und auch für die Umwelt.
Aus welchen Pflanzen wird Ethanol gewonnen?
Hofstetter: Ethanol wird aus stärkehaltigen Pflanzen gewonnen, vor allem aus Weizen, Mais, Roggen, Zuckerrohr oder Zuckerrüben. In Südamerika, vor allem in Brasilien beruht die Ethanolerzeugung auf dem Zuckerrohr, in Nordamerika wird Ethanol vorwiegend aus Körnermais erzeugt und hier in Europa aus Getreide, also Weizen, Roggen, Gerste, auch Mais, zunehmend aber auch aus Zuckerrüben.
Werden für den Anbau Torfflächen verwendet? Wird Wald gerodet?
Hofstetter: Wald wird hierzulande nicht gerodet, im Gegenteil: Wald nimmt sogar ein wenig zu in Deutschland, das liegt an dem deutschen Waldschutzgesetz. Dass Torfflächen umgewandelt werden, kann man nicht ausschließen. Tatsächlich haben die Landwirte ja die Möglichkeit, Grünland bis zu einem gewissen Umfang umzubrechen. In Niedersachsen und Schleswig-Holstein hat tatsächlich gerade in Regionen Grünlandumbruch stattgefunden, wo die Flächen sehr feucht und humusreich sind. Dort hat man tatsächlich auch das Problem, dass durch diesen Grünlandumbruch relativ viel Kohlenstoff freigesetzt wird.
Konkurriert der Anbau von Energiepflanzen mit dem Anbau von Nahrungsmitteln?
Hofstetter: Wir haben weltweite Agrarmärkte. Die Europäische Union war lange Zeit ein Getreidenettoexporteur und hat sich in den letzten Jahren zu einem Nettoimporteur gewandelt. Das hängt mit der ausgedehnten Fleischindustrie und mit der Ethanolerzeugung zusammen. Das heißt: Wir fragen weltweit Getreide nach und bringen nichts mehr auf diese Märkte. Das führt dann auch zu steigenden Preisen, ähnlich wie in den USA die Maisverarbeitung zu Ethanol zu einem steigenden Maispreis geführt hat. Wir erleben im Moment, dass durch die steigende Nachfrage verbunden mit Produktionsschwierigkeiten (Russland hat zum Beispiel weniger oder gar kein Getreide exportiert in diesem Jahr) die Weltmarktpreise verdoppelt worden sind. Wenn jetzt zusätzlich noch Nachfrage nach Ethanol entsteht, ist das ein echtes Problem. Wir müssten mehr importieren. Unsere Mobilität ginge also auf Kosten derjenigen, die sich die Lebensmittel nicht mehr leisten können.
Vermutlich empfehlen Sie aber auch nicht, weiterhin mit Erdöl Auto zu fahren…
Hofstetter: Das haben wir noch nie empfohlen. Vielleicht hatten wir als Umweltverbände vor zehn oder zwanzig Jahren tatsächlich die Hoffnung, regenerative Energien (und darunter auch Biomasse) könnte ein erheblicher Teil der Lösung sein. Aber wenn wir uns jetzt angucken, wo diese Biomasse herkommt, also entweder aus dem Wald oder vom Acker, dann müssen wir feststellen: Diese beiden Ressourcen sind extrem begrenzt. Von daher müssen wir sagen: Die Leute, die Mobilität haben möchten, müssen Druck machen, dass wir Fahrzeuge bekommen, die deutlich weniger verbrauchen, und sie müssen auf Mobilitätskonzepte setzen, die es ihnen ermöglichen, über andere Energieträger unterwegs zu sein.
Dieses Interview mit Martin Hofstetter erschien erstmals am 30. Dezember 2010 auf evangelisch.de.
Martin Hofstetter ist Agrarexperte bei Greenpeace in Hamburg.