Rechtsruck in Europa: Migranten werden wie Feinde behandelt
In Europa nehmen nationale und rechtskonservatiove Strömungen zu. Bei Wahlen in Ungarn, Schweden, Dänemark und den Niederlanden hatten Parteien mit entsprechenden Programmen Erfolg. Der französische Staatschef Sarkozy bekam aus verschiedenen Ländern Applaus für seinen Plan, Roma abzuschieben.
30.12.2010
Von Tanja Tricarico

"Genug ist genug." Mit diesen Worten brachte EU-Justizkommissarin Viviane Reding im August den französischen Staatschef Nicolas Sarkozy zur Räson. Hunderte Roma-Familien hatte er gegen Geld des Landes verwiesen. Reding vermutete die geplante Diskriminierung einer Minderheit. Sie warf Sarkozy vor, mit seiner Abschiebepolitik gegen das Recht auf Personenfreizügigkeit der EU-Grundrechtecharta zu verstoßen.

Die Roma-Frage wurde zum europäischen Politikum. Im EU-Parlament verabschiedeten Grüne, Liberale und Sozialdemokraten eine gemeinsame Resolution, um die Abschiebungen zu stoppen. Applaus für sein hartes Durchgreifen bekam Sarkozy von Konservativen und Nationalisten aus Italien, Belgien, Holland, Schweden, Österreich und Ungarn.

"Das ist nicht gut für Europa"

Reding strengte ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Frankreich an. Im Oktober wurde das Verfahren eingestellt, nachdem Frankreich einlenkte. Die Vorwürfe gegen Sarkozy sind längst verhallt. Doch der fahle Beigeschmack, dass die Diskriminierung von Minderheiten in der EU bejubelt wird, bleibt zurück.

"Das ist nicht gut für Europa", sagt Alain Délétroz, Vizepräsident der International Crisis Group, einer politischen "Wachhund"-Organisation in Brüssel. Um von politischen Affären und Stimmverlusten im eigenen Land abzulenken, habe Sarkozy mit den Abschiebungen Wahlkampf gemacht, glaubt er. Für Délétroz ist der Populismus ein Angriff auf die Demokratie.

Frankreich ist nicht das einzige Land, in dem 2010 populistische Strömungen viele Anhänger fanden. Im Mai zog die rechtsnationale Jobbik-Partei ins ungarische Parlament ein. Im Herbst hatten Parteien mit ähnlichem Programm in Dänemark und Schweden Erfolg. Der umstrittene islamfeindliche Politiker Geert Wilders will in den Niederlanden bereits 2011 ein Burka-Verbot durchsetzen.

Wähler haben Angst vor sozialem Abstieg

"Die Menschen misstrauen zunehmend einer gemäßigten Politik", sagt Frank Decker, Soziologe an der Universität Bonn. Wer einfache Lösungen biete, habe es leichter, an Wählerstimmen zu kommen. "Die Wirtschaftskrise und die Angst vor dem sozialen Abstieg machen sich viele Politiker zunutze", sagt Decker. Er rechnet damit, dass nationalistische und rechtskonservative Strömungen in Europa in den kommenden Jahren zunehmen werden.

Der Umgang mit Migranten ist für Europa eine der größten Herausforderungen. "Wir haben eine Atmosphäre geschaffen, in der Migranten wie Feinde behandelt werden", sagt der Menschenrechtskommissar im Europarat, Thomas Hammarberg. Er sieht Europa in einer ökonomischen wie politischen Krise. "Wenn die Eurozone zusammenbricht, wird der Fremdenhass zunehmen", befürchtet er.

Barbara Lochbihler, Grünen-Abgeordnete im Europäischen Parlament, sieht in Deutschland eine der treibenden Kräfte für die rechtspopulistischen Strömungen in Europa. Erst im November hat eine Gruppe konservativer Parlamentarier mit einem Strategiepapier die EU-Kommission aufgefordert, ein gemeinsames EU-Asylrecht zu überdenken. Losgetreten wurde das Papier von Staatssekretär Ole Schröder und Innenminister Thomas de Maizière (beide CDU).

Asylsuchende in Europa unerwünscht?

Die Abgeordneten plädieren dafür, Staaten wie Griechenland, Malta oder Spanien mit Geld zu unterstützen, damit Asylsuchende dort versorgt werden können. Durch die Finanzkrise könne es sich die EU nicht leisten, die Flüchtlinge auf alle Länder zu verteilen, heißt es in der Begründung.

"Das ist erbärmlich", sagt Menschenrechtsexpertin Lochbihler. Sie hat der Vorstoß der Konservativen jedoch nicht überrascht. Die öffentliche Debatte, die Fremden lassen sich nicht integrieren, falle auf fruchtbaren Boden, sagt sie. Durch solche Parolen verliere die EU als Wächterin der Grundrechte an Glaubwürdigkeit.

Für den Polit-Aktivisten Délétroz fehlen in Europa politische Vorbilder, die sich gegen solche Tendenzen stellen. Dass der populistische Kurs in Europa beibehalten wird, daran hat Délétroz keinen Zweifel. Ab Januar wird Ungarn für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Der rechtskonservative ungarische Ministerpräsident Victor Orbàn hat bereits angekündigt, sich weder beim Asylrecht noch bei den Bürgerrechten auf Kompromisse einzulassen. 

epd