Islam in Deutschland: Das Jahr der Stammtisch-Diskussionen
Scheitert die Integration am Islam? Oder gehört der Islam längst zu Deutschland? Angefacht durch Sarazzin und Wulff wurde in diesem Jahr heftig über Integration gestritten. Sachfragen über islamische Theologie an deutschen Unis und die Anerkennung muslimischer Verbände als Religionsgemeinschaft wurden überhört.
28.12.2010
Von Ellen Großhans und Jutta Wagemann

Dass die Reaktionen auf Thilo Sarrazins Bestseller "Deutschland schafft sich ab" im Sommer hitzig ausfielen, ist nicht verwunderlich angesichts seiner Thesen. Bei keiner anderen Religion wie dem Islam sei der Übergang zu Gewalt und Terrorismus so fließend, diagnostizierte der damalige Bundesbankvorstand und SPD-Politiker. Die Ursachen für die schlechte Integration von Muslimen seien nicht ethnisch begründet, sondern lägen offenbar in der Kultur des Islams.

Während Sarrazin mit seinen provokanten Äußerungen vor allem die Stammtisch-Diskussionen befeuerte, rief Wulff in seiner Rede zum Tag der Deutschen Einheit zu Zusammenhalt und gegenseitigem Verständnis zwischen Deutschen und Migranten auf. Er verwies auf die christlich-jüdischen Wurzeln Deutschlands, betonte aber zugleich: "Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland."

Merkel: "Multikulti ist gescheitert"

Mit der eigentlich versöhnlich gemeinten Formulierung trat Wulff die Integrationsdebatte erst richtig los. Es folgte die Warnung des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) vor einer weiteren Zuwanderung aus der islamischen Welt. Die Schlagworte Scharia, Grundgesetz, Islam und Islamismus wurden wild vermischt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte Multikulti für gescheitert.

Ein wichtiger Baustein zur weiteren Integration des Islam blieb dabei nahezu unbeachtet: die Einführung islamisch-theologischer Lehrangebote an deutschen Hochschulen. Nach entsprechenden Empfehlungen des Wissenschaftsrates entschloss sich die Bundesregierung, den Aufbau von Studiengängen für islamische Theologie in Tübingen, Münster und Osnabrück zu fördern. Muslimische Geistliche können so erstmals komplett an deutschen Hochschulen ausgebildet werden.

Kritische Methode im Umgang mit dem Koran

Den Zentren für Islamstudien soll jeweils ein Beirat zugeordnet werden, in dem islamische Verbände und unabhängige Muslime über Lehrinhalte und Personal mitbestimmen. So wie es an den christlich-theologischen Fakultäten eine kritische Methode im Umgang mit der Bibel gebe, sei dies nun auch für den Koran möglich, sagte Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU). Es bleibt die Frage, wie die Umsetzung des Modells funktioniert.

Dahinter steckt das alte Problem der rechtlichen Anerkennung muslimischer Verbände als Religionsgemeinschaft, damit sie als Kooperationspartner des Staates handeln können. Diese Frage steht weiterhin im Zentrum der Deutschen Islamkonferenz. Deutliche Fortschritte bei der Lösung des rechtlichen Problems sind jedoch nicht erkennbar.

Damit fehlt nach wie vor die wichtigste Voraussetzung für islamischen Religionsunterricht an den Schulen. Mit den Bundesländern werde über Zwischenschritte zum vollwertigen islamischen Religionsunterricht beraten, versicherte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). In dieser Legislaturperiode soll in der Islamkonferenz zumindest ein bundesweites Modellprojekt für islamischen Religionsunterricht entwickelt werden.

Islamkonferenz spricht nicht mit einer Stimme

Die Islamkonferenz, die in neuer Zusammensetzung im Mai ihre Auftaktsitzung hatte und seitdem nur auf Arbeitsgruppen-Ebene tagte, machte vor allem wegen des Streits um ihre Mitglieder von sich reden. Milli Görüs wurde wegen laufender staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen nicht mehr eingeladen. Der Zentralrat der Muslime sagte daraufhin seine Teilnahme ab.

In der gesellschaftlichen Debatte über Muslime, die das zurückliegende Jahr bestimmte, war die Islamkonferenz nicht zu vernehmen. Die in ihr vertretenen muslimischen Verbände und "Einzelpersönlichkeiten" sind viel zu unterschiedlich, um mit einer Stimme zu sprechen. Diese Vielfalt des Islam in Deutschland fiel in der aufgeregten Debatte unter den Tisch - und ist zugleich rechtsstaatlich betrachtet das ungelöste Problem der Muslime.

epd