Afghanische Ärztin: "Gefahr macht mir nichts aus"
Ihr Job ist schwierig und gefährlich. Doch Sima Samar ist keine Frau, die sich einfach abschrecken lässt. Die 53-jährige Ärztin leitet die unabhängige Menschenrechtskommission in Afghanistan - einem Land, in dem Rechte und Freiheiten oft wenig bedeuten.
27.12.2010
Von Agnes Tandler

Seit der Westen ankündigte, dass die NATO-Truppen schon 2011 mit dem Abzug beginnen werden, wächst die Angst vor der Rückkehr der radikal-islamischen Taliban. Es ist vor allem die Sorge um die Lage der Minderheiten und der Frauen. Aber schon jetzt kümmert sich die Menschenrechtskommission um die existenziellen Nöte der Menschen. Ganz oben steht der Schutz vor Gewalt und Hilfe für die Armen.

Eindringlich appelliert das Gremium an alle bewaffneten Gruppen, die Zivilbevölkerung zu schonen. Zwischen Januar und Juli sind nach ihren Erhebungen 1.325 Zivilisten, darunter 217 Kinder, bei Militäroperationen von Regierungstruppen und Aufständischen getötet worden. 5,5 Prozent mehr als im Jahr davor.

Wie kaum eine andere Persönlichkeit steht Samar für die Rechte der Frauen und der ethnischen Minderheiten in dem von Krieg und Konflikt zerrütteten Land. Die doppelte Diskriminierung kennt sie aus eigener Erfahrung. Samar gehört zu den Hasara, einer in Afghanistan unterdrückten ethnischen Gruppe, die auf fünf bis zehn Millionen Menschen geschätzt wird. Die Hasara sind schiitische Muslime, anders als die Mehrheit der Afghanen, die Sunniten sind.

Ihr Mann wurde verhaftet und gilt als verschollen

Sima Samar studierte Medizin an der Universität Kabul und machte dort 1982 ihr Examen - als erste Hasara-Frau überhaupt. Zwei Jahre später verhaftete das damalige kommunistische Regime in Kabul ihren Ehemann. Die junge Ärztin musste um ihr Leben bangen und floh mit ihrem kleinen Sohn nach Pakistan. Ihren Mann sah sie nie mehr wieder. Er gilt als verschollen.

Entsetzt von den hygienischen und medizinischen Zuständen in den Flüchtlingslagern in Pakistan begann Samar, sich um die Versorgung der afghanischen Flüchtlinge zu kümmern. Sie gründete 1989 Shuhada, eine Organisation, die Kliniken für Frauen und Kinder einrichtet und medizinische Helfer ausbildet. Später baute die Medizinerin auch Kliniken auf afghanischem Boden auf. Sie reiste zwischen Pakistan und Afghanistan hin und her, organisierte Alphabetisierungsprogramme für Frauen und Mädchen und kümmerte sich um Essensversorgung und Sauberkeit.

Todesdrohungen wegen Ablehnung der Scharia

Sie trotzte mit ihrer Arbeit dem in Kabul herrschenden Taliban-Regime, das den Frauen alle Tätigkeiten außerhalb ihres Hauses verboten hatte. "Ich war schon immer in Gefahr und es macht mir nichts aus", erklärte sie stets entschlossen.

2002 kehrte sie in ihre Heimat zurück. Nach dem Sturz der Taliban bot ihr Afghanistans Präsident Hamid Karsai den Posten der Frauenministerin in seinem ersten Kabinett an. Doch Samars Ausflug in die Politik währte nur kurz. Die erhielt Todesdrohungen und wurde wegen ihrer Ablehnung des konservativ-religiösen Scharia-Gesetzes belästigt und kritisiert. Sie reichte ihren Rücktritt ein.

Ihr Engagement für die Frauen und Minderheiten führt sie weiter. Auch als Leiterin der Menschenrechtskommission eckt sie an und muss sich gegen Schmutzkampagnen wehren: Der Parlamentarier Najibullah Kubil beschuldigt sie 2009, Bestechungsgelder anzunehmen und einen Sex-Handel mit afghanischen Witwen zu organisieren.

Entschiedene Gegnerin der Burka

Samar gilt als scharfe Kritikerin der radikal-islamischen Extremisten: "Die Taliban haben die Frauen um 100 Jahre zurückgeworfen", klagt sie. Die Medizinerin ist eine entschiedene Gegnerin der Burka, des Ganzkörperschleiers, den unter den Taliban alle Frauen in Afghanistan tragen mussten. Die Burka sei ein Gefängnis für die Frauen, sagt sie.

Und auch vom medizinischen Standpunkt her schlecht. Weil verschleierte Frauen weniger Sonnenlicht bekommen, produziert ihr Körper weniger Vitamin D, daher leiden viele an Knochenerweichung. Für ihren Mut und ihr Engagement bekam Samar bereits zahlreiche internationale Auszeichnungen.

epd