Zersplitterte Scheiben, zerstörte Rollläden. Geklingelt oder angeklopft haben die Männer vom "Dienst Speciale Interventies" - der niederländischen Anti-Terror-Spezialeinheit DSI - nicht, als sie Heiligabend den Internetshop "Banadir" in Rotterdam stürmten. Kein Wunder, denn der Geheimdienst AIVD hatte Alarm geschlagen: "Eine Anzahl Somalier will in Kürze einen terroristischen Anschlag in den Niederlanden verüben." Der Großeinsatz, bei dem zwölf Somalier unter Terrorismusverdacht festgenommen wurden, riss Holland aus der Weihnachtsruhe. Doch wie ernst war die Bedrohung wirklich?
Zeitung: Somalier hatten Terroristen-Verbindung
Mehrere der Heiligabend in Rotterdam festgenommenen Somalier sollen in Verbindung mit der somalischen Islamisten-Miliz Al-Shabaab gestanden haben. Das berichtet die Zeitung "de Volkskrant" am Montag unter Berufung auf Quellen in Holland, Kenia und Somalia. Einer der zwölf Festgenommenen sei verwandt mit dem Al-Shabaab-Kommandeur Mohammed Garmashago, der in Verbindung mit dem Terrornetzwerk Al-Kaida stehen soll.
Die Festnahmen waren nach Warnungen des niederländischen Geheimdienstes AIVD vor einem möglicherweise kurz bevorstehenden Anschlag erfolgt. Fünf der Festgenommenen wurden Sonntagabend wieder freigelassen, nachdem sich der Verdacht gegen sie nicht bestätigte. Bei den anderen sieben Somaliern entscheidet die Staatsanwaltschaft wahrscheinlich noch am Montag oder am Dienstag, ob sie einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden.
Derweil haben Anwälte Kritik am Geheimdienst AIVD geübt und eine unabhängige Untersuchung gefordert. "Anders als durch Fehler des AIVD ist nicht erklärbar, dass Verdächtige so schnell wieder freigelassen werden müssen", sagte der Rechtsanwalt Michael Ruperti vor Reportern. Angehörige und Freunde hatten die Unschuld der festgenommenen Männer im Alter zwischen 19 und 48 Jahren beteuert. Mehrere von ihnen haben die niederländische Staatsbürgerschaft.
Die radikalislamische Miliz Al-Shabaab, die enge Verbindungen zum Al-Kaida-Netzwerk unterhalten soll, will in Somalia einen islamischen Gottesstaat errichten. Die Gruppe kontrolliert große Teile des Krisenstaats am Horn von Afrika, der seit 1991 keine stabile Regierung mehr hat. Auch ausländische Kämpfer haben sich den Islamisten angeschlossen.
Terrorismus? "Damit haben wir nichts zu tun"
"Ich habe noch gesagt: Hier habt ihr den Schlüssel", erzählte der Somalier Nuur am ersten Weihnachtstag Reportern vor dem demolierten Internetshop in der Rotterdamer Middellandstraat. "Aber die wollten sie nicht, sie traten lieber die Türen ein", sagte der 36-jährige, der als Teenager nach Holland kam und bestens Niederländisch spricht.
Der Shop gehöre seinem Bruder Osman M.F., sagt er, einer der zwölf Festgenommenen, die aus dem ostafrikanischen Bürgerkriegsland Somalia stammen. Osman sei vor sechs Jahren aus Deutschland in die Niederlande gekommen. Terrorismus? "Damit haben wir nichts zu tun", beteuert Nuur. "Der Geheimdienst hat einen Riesenfehler gemacht. Wir sind normale, hart arbeitende Menschen."
Allzu viele Niederländer glauben solchen Beteuerungen wohl nicht. Und Geert Wilders, der Rechtspopulist, der immer wieder Muslime mit islamfeindlichen Ausfällen zur Weißglut bringt, macht sich einmal mehr zum Sprachrohr der "schweigenden Mehrheit". Gleich nach den Razzien in der Hafenstadt twittert der Chef der Partei für die Freiheit (PVV): "Die zwölf festgenommenen somalischen Terrorverdächtigen haben meiner Ansicht nach in den NL nicht gerade nach dem gesucht, was uns verbindet."
Doch die Terrorismusbekämpfer haben bei ihnen weder Waffen noch Sprengstoff gefunden. Und über ein konkretes Ziel für einen Anschlag habe man auch keine Erkenntnisse, hieß es bei der Staatsanwaltschaft. Montag, vielleicht erst Dienstag, lasse sich dazu eventuell mehr mitteilen. Doch schon am Sonntagabend musste die Staatsanwaltschaft einräumen: Bei fünf der zwölf Festgenommenen hatte man sich vertan, der Terrorverdacht hatte sich bei den Vernehmungen nicht bestätigt.
Die Niederländer sind nervös
Zweifellos sind die Niederländer nervös. Mit Anschlägen wird schon lange gerechnet. Der AIVD hatte 2009 gewarnt, von Extremisten in Somalia gingen Gefahren aus. Im September wurden die Holländer durch Aufrufe eines Hasspredigers geschockt, Wilders zu enthaupten. Die Festnahmen an Heiligabend erklärte dieser nun, zeigten die "Verwundbarkeit des freien Westens" durch den Terrorismus. "Dagegen müssen wir mit allen Mitteln knallhart vorgehen."
Der Chef der rechtspopulistischen Partei für Freiheit (PVV), die als Mehrheitsbeschafferin indirekt an der Regierung in Den Haag beteiligt ist, hat immer wieder Muslime in aller Welt provoziert. Mehrfach verglich er den Koran öffentlich mit Hitlers "Mein Kampf", beschimpfte den Islam als "faschistische Ideologie" und dessen Propheten als "Barbaren, Massenmörder und Pädophilen".
Rund 27.000 Somalier leben in den Niederlanden. Die meisten kamen als Asylbewerber. Dass einige von ihnen auf Extremisten in der völlig zerrütteten ostafrikanischen Heimat hören könnten und bereit sind, sich für Racheaktionen für die Ausfälle von Wilders zu opfern, glauben Insider durchaus.
Somalia sei zu einer "Brutstätte für Terroristen" vom Schlage der El Kaida geworden, sagte der Terrorismusexperte Glenn Schoen am Sonntag im niederländischen Fernsehsender NOS. Wenn auch nur einige Somalier in Holland mit denen in Verbindung stünden, sei das "sehr besorgniserregend". Zugleich nannte er den Einsatz am Heiligabend aber eine "hastige Operation" und fügte hinzu: "Es ist zu hoffen, dass der AIVD die Dinge im Griff hat."