Nach Start-Vertrag fordert Moskau die gemeinsame Raketenabwehr
Der Start-Vertrag ist unter Dach und Fach, die Zustimmung Russlands gilt als Formsache. Nun richtet sich das Augenmerk des Kreml wieder auf die Teilnahme an der NATO-Raketenabwehr. Moskau droht mit einem neuen Wettrüsten, falls das Großprojekt scheitert.
23.12.2010
Von Benedikt von Imhoff

Dank dem neuen atomaren Abrüstungsabkommen sieht sich Russland wieder auf Augenhöhe mit den USA. Doch Moskau will mehr. Als nächstes Ziel hat Kremlchef Dmitri Medwedew die Teilnahme an der geplanten NATO-Raketenabwehr in Europa ausgegeben. Ein Scheitern dieses Großprojekts wäre der "Totengräber" für den neuen Start-Vertrag, warnte der Moskauer Politologe Viktor Kremenjuk. "Das würde das Abkommen bedeutungslos machen." NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen signalisierte eilig, der Abrüstungsvertrag sei ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer gemeinsamen Raketenabwehr.

Mit dem Start-Vertrag hat Russland das nukleare Gleichgewicht mit dem alten Gegner aus Sowjetzeiten vertraglich fixiert. Es ist ein vorzeitiges Weihnachtsgeschenk für Medwedew, der den Vertrag mit aller Macht wollte. Doch das Werk ist für Moskau nur der längst überfällige "Schlusspunkt unter den Kalten Krieg", wie die Regierungszeitung "Rossijskaja Gaseta" nach der Ratifizierung durch den US-Senat jubelte.

Abrüstungsfreude auch in Berlin

Obama pries das Abkommen als "wichtigsten Abrüstungsvertrag seit fast zwei Jahrzehnten". Der Vertrag werde die Welt sicherer machen. Er verpflichtet beide Staaten, die Zahl der stationierten nuklearen Sprengköpfe innerhalb der nächsten sieben Jahre von je 2200 auf 1550 zu reduzieren. Die Zahl der Trägersysteme soll auf jeweils 700 begrenzt werden.

Erleichterung auch in Berlin: Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von einem "wichtigen Meilenstein in der Entwicklung einer wirklichen Partnerschaft" mit Russland, wie sie auch in dem neuen strategischen Konzept der Nato angelegt ist.

Obama flog unmittelbar nach seinem Erfolg in Urlaub auf Hawaii. In einem wochenlangen Tauziehen mit der Opposition war es ihm buchstäblich in letzter Minute gelungen, genügend Republikaner auf seine Seite zu ziehen, um die notwendige Zweidrittelmehrheit zu erreichen. Der Vertrag wurde am Mittwoch mit 71 zu 26 Stimmen angenommen, 13 Republikaner stimmten mit den Demokraten - 4 mehr als benötigt.

"Neustart" der Beziehungen – trotz Plänen für Raketenabwehr

Ganz entspannen kann Barack Obama aber nicht. Die Pläne des früheren US-Präsidenten George W. Bush, ein eigenes Verteidigungssystem in Polen und Tschechien aufzubauen, stießen auf scharfen Widerstand Moskaus, das seine Sicherheit bedroht sah. Unter anderem deshalb hatte Bushs Nachfolger Obama das Projekt auf Eis gelegt. Immer wieder sprechen er und Medwedew nun von einem "Neustart" zwischen Washington und Moskau. Die Entscheidung der USA für Start sei ein weiterer Beweis für die Verbesserung der Beziehungen, lobte der Kremlchef.

Dennoch geizen Medwedew und Regierungschef Wladimir Putin nicht mit harschen Worten. Wiederholt und unverhohlen drohten sie mit einem neuen atomaren Wettrüsten, falls der Westen Russland nicht mit in seine Planung einbezieht. "Das zeigt, dass Russland Europa und den USA gegenüber misstrauisch ist", kommentiert die CIA-nahe Stiftung Jamestown in Washington. Moskaus Freundschaftsappelle ähnelten einer Schutzgelderpressung im Mafia-Stil.

Immer wieder hatte Russland gedroht und gedrängelt, der Start-Vertrag müsse von beiden Staaten "synchron" ratifiziert werden. Nun hat Washington den Weg zuerst frei gemacht - Punktsieg für Moskau. Zugleich wiesen führende russische Politiker bereits mit dem Finger auf eine Veränderung im amerikanischen Zusatzbeschluss. "Diese Resolution des US-Senats könnte den Vertrag ungültig machen", sagte ein hoher Offizieller im Außenministerium der Zeitung "Kommersant".

Senats-Resolution für die Raketenabwehr birgt Zündstoff

Mit der nicht bindenden Resolution hatte Obama Forderungen der US-Republikaner aufgegriffen und sich so die Unterstützung mehrerer konservativer Senatoren erkauft. Das Weiße Haus, so heißt es in dem Text, werde seine Pläne für ein "starkes sowie effektives Raketenabwehrsystem in Europa" nicht aufgeben und Dutzende Milliarden Dollar in die Modernisierung des Atomwaffenprogramms stecken.

Zwar haben Beobachter keinen Zweifel daran, dass die von der Putin-Partei Geeintes Russland dominierten Parlamentskammern dem Abkommen ihren Segen geben - möglicherweise bereits im Eilverfahren an Heiligabend. Doch Moskau könnte seinerseits selbst Forderungen und Bedingungen in eine Resolution aufnehmen, etwa zur Raketenabwehr.

Russland werde daran nur mitarbeiten, wenn es gleichberechtigt sei, hatte Medwedew im November auf dem NATO-Gipfel in Lissabon angekündigt. Er forderte einen umfassenden Informationsaustausch und die Übernahme von Verantwortung und kam dann auf seine Hauptsorge zurück: Die neue Raketenabwehr dürfe nicht das militärische Gleichgewicht in Europa verschieben, warnte der Kremlchef.

dpa