Gott sei Dank: Für die Flughafenseelsorger ist das Chaos vorbei
Das Chaos am Frankfurter Flughafen hat Passagiere und Mitarbeiter einige Nerven gekostet. Hunderte Menschen mussten tagelang hier aushalten. Der kirchliche Sozialdienst hat Gestrandete mit Decken versorgt, und Flughafenpfarrerin Ulrike Johanns schenkte dem gestressten Personal ein offenes Ohr.
23.12.2010
Von Anne Kampf

Abflughalle B, Donnerstagmorgen, 8.20 Uhr. Annemarie und Baldur Engberg sitzen völlig entspannt in der Flughafenkapelle. Es ist still. Das Ehepaar aus Schwabach schaut nach vorn zum Altar: Hier passiert nichts – und das ist gut so. Die beiden Katholiken danken Gott für ihre schöne Reise per Kreuzfahrtschiff nach Namibia, sie haben bei über 30 Grad wilde Giraffen, Löwen und Elefanten beobachtet und erleben jetzt einen Temperaturschock.

Um null Grad sind es in Hessen. Die Engbergs (Foto links) sind gerade gelandet und haben noch ein wenig Zeit. In die Kapelle kommen sie gern, genießen die Stille und freuen sich über die vier Adventskerzen: "Unterwegs hatten wir kaum Gelegenheit, einen Gottesdienst zu besuchen." In einer Stunde geht ihr Flug nach Nürnberg.

Die beiden haben auch im Hinblick auf ihr Rückflugdatum Grund zum Danken: Hätten sie vier Tage früher versucht, von Namibia nach Deutschland zu kommen, wären sie wahrscheinlich irgendwo gestrandet. Tagelang ging es nicht weiter am Frankfurter Flughafen, Schnee und Eis machten die Start- und Landebahnen unbenutzbar, tausende Fluggäste mussten zum Teil mehrere Tage und Nächte hier ausharren.

Der kirchliche Sozialdienst hat Decken verteilt

Eine Situation, in der kirchliche Sozialdienst für Passagiere gefragt ist: Sozialberaterin Annette Fitschen und Sozialarbeiterin Isabelle Haas haben sich um die Menschen gekümmert, die Hilfe brauchten. Ein Vater mit kleinen Kindern zum Beispiel freute sich über ein paar warme Decken, mit denen er den Kleinen auf den Feldbetten am Flughafen wenigstens ein bisschen Geborgenheit geben konnte. Eine Gruppe von 40 Jugendlichen musste lange warten, durfte zum Teil den Transitbereich nicht wieder verlassen: Ihnen halfen die beiden Frauen vom Sozialdienst mit einem Gang in den Supermarkt. Tampons und Damenbinden wurden benötigt – die Mädchen hatten ihr Handgepäck eben nicht für einen mehrtägigen Aufenthalt gepackt.

Etwas kniffliger war die Betreuung einer über 60-jährigen Ukrainerin. Problem eins: Sie sprach weder deutsch noch englisch, also benutzten die beiden Damen vom Sozialdienst ihr "Ohne-Worte-Wörterbuch", ein Art Bilderbuch für Erwachsene, in dem lauter kleine Symbole zu sehen sind. Wenn die Ukrainerin auf die Geldscheine darin zeigt, heißt das wohl: "Ich habe kein Geld." Das war Problem zwei. Die Frau musste umbuchen und konnte die Gebühr dafür nicht aufbringen. Annette Fitschen regelte mit Behörden und der Airline, dass die Umbuchung auch ohne Gebühr funktionierte.

Pfarrerin Ulrike Johanns, Sozialarbeiterin Isabelle Haas, Seelsorgerin Elke Hartmann und Sozialberaterin Annette Fitschen. Foto: Anne Kampf

Menschen im Transitbereich ohne Essen und Trinken

Oft sind es nicht die großen existenziellen Probleme, die dem kirchlichen Sozialdienst am Flughafen begegnen – sondern ganz praktische kleine. Grundbedürfnisse der Menschen müssen gestillt werden: Essen und Trinken für die Passagiere im Transitbereich zum Beispiel. Dort warten Menschen aus dem Ausland, die weder bleiben noch fliegen können. Das Visum für Deutschland ist abgelaufen, der Flieger kann nicht abheben – also harren sie in dieser Zwischenwelt aus. Angehörige rufen meist von außen den Sozialdienst an und machen auf die Notsituation aufmerksam.

Annette Fitschen und Isabelle Haas hatten gut zu tun während der Schneechaos-Tage. Manchmal standen mehrere Menschen gleichzeitig in ihrer Station und brauchten Hilfe. Die erste Frage der Sozialarbeiterinnen an die Passagiere lautet immer: "Wann geht Ihr Flug?" - mit anderen Worten: "Wieviel Zeit haben wir, um das Problem zu lösen?". Wer es am eiligsten hat, kommt zuerst an die Reihe. Immerhin: Hier drinnen hat niemand die Nerven verloren, während draußen das Schneegestöber tobte und sich in den Abflughallen die Menschen drängten.

"Man merkte schon die Anspannung", sagt Annette Fitschen - die ältere Ukrainerin zum Beispiel war auch psychisch in keinem guten Zustand – aber insgesamt fällt das Schneechaos-Fazit im Sozialdienst sehr positiv aus: "Es gab im Flughafen Getränke und Süßigkeiten von der Firma Fraport, außerdem Kinderbespaßung, das hat schon zu einer Entspannung geführt", sagt Isabelle Haas.

"Super Job gemacht - Hut ab!"

Auch Pfarrerin Ulrike Johanns ist völlig entspannt an diesem Donnerstagmorgen. Am Dienstag war das nicht so: Nach etlichen chaotischen Tagen hatte es so ausgesehen, als könne der Flughafenbetrieb endlich normal weiterlaufen – da lagen wieder 20 Zentimeter Schnee in Frankfurt. Ein weiterer anstrengender Arbeitstag für die Mitarbeiter des Flughafens, ob an den Schaltern oder Infopunkten, in der Gepäckabfertigung, in der Gastronomie oder bei der Polizei. Alle sind in diesen Tagen und Nächten an ihre Grenzen gegangen.

Ulrike Johanns ist als Seelsorgerin für die 75.000 Flughafen-Beschäftigten zuständig. Sie hört zu, tröstet - oder ist einfach nur da. "Die Leute hier am Flughafen haben einen super Job gemacht. Hut ab! Stellen Sie sich vor, Sie werden 10 Stunden lang mit Fragen bombardiert. Die Mitarbeiter sind freundlich und professionell damit umgegangen und haben sich sogar über Einzelfälle den Kopf zerbrochen", staunt die Pfarrerin.

[reference:nid=29999]

Von einer Teamleiterin wurde sie gebeten, doch bitte zum Schichtwechsel zu kommen und den Sercivemitarbeitern nach ihrem Dienst ein offenes Ohr zu schenken. Mit der Erwartung, entnervte und erschöpfte Nervenbündel zu treffen, ging Ulrike Johanns hin – und staunte wieder: "Die Leute waren zwar müde, aber aufgedreht und beglückt! Sie konnten was tun für die Fluggäste, sie konnten weiterhelfen. Das hat manche richtig beseelt."

So war das Schneechaos mit den vielen orientierungslosen, verzweifelten Fluggästen in den Hallen zwar anstrengend, aber auch eine gute Team-Erfahrung. Die Mitarbeiter im Service konnten erleben, wie aufgebrachte Fluggäste ruhig wurden. "Manche haben erzählt, sie seien noch nie so oft wie an diesem Tag umarmt worden", erzählt die Pfarrerin. Auch von draußen auf dem Vorfeld weiß sie: Die Arbeit ist ein Knochenjob. Mitarbeiter in Blaumännern wuchten bei eisigem Wind im Schneetreiben schwere Koffer hin und her. "In so einer Situation spucken die Leute sich einfach in die Hände und langen zu."

Für 75.000 Menschen da sein

Die Pfarrerin möchte möglichst auch für diejenigen da sein, die nicht nach Hilfe rufen. So ist sie einfach am Flughafen umher gegangen, hat sich zwischen die Schlangen gestellt und hingehört, und eine Frau am Schalter "einfach mal angelächelt und gesagt: Jetzt hast du eine Minute Pause".  

Ulrike Johanns ist eine feinfühlige Seelsorgerin. Sie spürt den Menschen schnell ab, was sie brauchen. Am liebsten möchte sie mit allen in Kontakt treten – aber das ist gar nicht so einfach. Denn zu ihrer "Gemeinde", dem Flughafen, zählen 75.000 Mitarbeiter. "Das ist hier nicht nur ein Arbeitsplatz – das ist eine Lebenswelt", sagt Ulrike Johanns. Die Kollegen kümmern sich umeinander. Besonders deutlich wird das, wenn einer stirbt: Mittlerweile hat sich der Brauch etabliert, dass die Flughafengemeinde sich mit Trauer- und Gedenkfeiern in der Kapelle an die Verstorbenen erinnert. Ihre Namen sind auf einer Plexiglastafel neben der Ausgangstür verewigt.

Die Kapelle ist ein Rückzugsort für die Flughafengemeinde. Restaurant-Mitarbeiterin Marija Powils kommt jeden Morgen. Sie zündet vor der Marienstatue (Foto links) eine Kerze an, kniet nieder und betet. Eine halbe bis eine Stunde nimmt sie sich Zeit. "Mit Jesus und Maria teile ich mein Leben", sagt die Katholikin. Der Glaube gibt ihr Kraft, um bei der Arbeit freundlich mit den Gästen umzugehen, sagt sie. Pater Rolf Fuchs begrüßt sie persönlich. 

Advent in der Flughafenkapelle

Zu Weihnachten hat der katholische Geistliche einen Weihnachtsbaum aufgestellt, an Heiligabend wird Pfarrerin Johanns ihn zusammen mit ihrem Mann schmücken – aber dezent. "Die Kapelle ist absichtlich karg geschmückt", erklärt sie. "Das thematisiert den Advent besser als all die grellen Lichter im Fughafen." 

Während der Schneechaos-Tage war die Kapelle gerade deswegen ein beliebter Rückzugsort, weil hier nichts passiert bis auf das Flackern der Kerzen. Die Menschen konnten zur Ruhe kommen. Ein Eintrag vom 17. Dezember im Gästebuch lautet: "Leider haben wir es nicht zur Beerdigung unseres Onkels geschafft, da die Flüge annulliert wurden. Die Kapelle war ein Trost für uns. Danke".
Eine junge Frau war auf dem Weg nach London hier gestrandet. Mehrere Stunden lang saß sie in der Kapelle, wollte weder essen noch trinken noch schlafen – sondern einfach nur Stille spüren. Raus aus den Menschenmassen, raus aus dem Getümmel, weg von den Lautsprecherdurchsagen und Anzeigetafeln. In der Flughafenkapelle fand sie, was sie auf ihrer unterbrochenen Reise im Advent suchte: Ruhe und Frieden.

Mehr im Internet: www.kirche-am-flughafen.org


Anne Kampf ist Redakteurin bei evangelisch.de und zuständig für die Ressorts Politik und Gesellschaft.