Offene Fragen zur Weihnachtsgeschichte
"Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe...", so berichtet der Evangelist Lukas von Jesu Geburt. Was wir nicht wissen: Wann und wo genau ist er geboren? In Bethlehem oder in Nazareth? Und: War seine Mutter tatsächlich Jungfrau?
22.12.2010
Von Klaus Haacker

Kerzenschein an dunklen Winterabenden: so sieht Weihnachten auf der nördlichen Halbkugel der Erde aus. Das passt zu den Lichtverhältnissen historischer Forschung zur Geburt Jesu. Jesus stand erst als erwachsener Mann im grellen Licht der Öffentlichkeit. Das aber ist der Raum, in dem sich mehr oder weniger nachprüfbare Ereignisse der Weltgeschichte zutragen. Kein Wunder, dass die näheren Umstände der Geburt Jesu nicht zweifelsfrei feststehen.

Jesu Geburtsjahr unbestimmt

Das beginnt mit Datierungsfragen: Die Festlegung des Geburtstags Jesu auf den 25.12. erfolgte erst Jahrhunderte nach dem Ereignis und ist ohne historischen Wert. Nicht einmal das Geburtsjahr ist übereinstimmend überliefert: Dem Matthäus-Evangelium zufolge ist Jesus noch unter Herodes dem Großen geboren, der im Jahr 4 "vor Christi Geburt" starb. Nach dem Lukas-Evangelium ist jedoch nur Johannes der Täufer unter Herodes geboren, Jesus aber erst um das Jahr 6 n. Chr. - zur Zeit der Steuererfassung unter dem Statthalter Quirinius.

Als Geburtsort wird übereinstimmend Bethlehem angegeben, aber der Beiname Jesu "von Nazareth" oder "der Nazarener" lässt viele Forscher auf eine Geburt in Nazareth schließen. Das ist jedoch nicht zwingend; denn in der Antike gab es auch Beinamen nach dem Ort, an dem jemand aufgewachsen war. Im Matthäus-Evangelium und im Johannes-Evangelium ist zwar davon die Rede, dass man im Judentum auf Grund einer Stelle im Buch des Propheten Micha die Herkunft des Messias aus Bethlehem erwartete. Darum vermuten viele, dieser Geburtsort sei Jesus erst nachträglich zugeschrieben worden, weil man in ihm den Messias erkannte. Aber eine Fixierung der Messiaserwartung auf dieses Kriterium ist in Schriften des antiken Judentums nicht nachweisbar. In der Geschichte des Judentums wurden gelegentlich auch solche Personen, die nicht aus Bethlehem stammten, für den Messias gehalten.

„Geboren von der Jungfrau Maria“

In wirkliches Dunkel gehüllt ist dagegen die Zeugung Jesu, die nach Matthäus und Lukas ein Wunder Gottes war. Unbegründet und höchst missverständlich ist die verbreitete Annahme, dass die Empfängnis stattfand, als der Engel Gabriel der Maria dieses Wunder ankündigte. Dieser Vorstellung folgt auch der liturgische Kalender, der einen Abstand von sechs Monaten zwischen dem Johannistag am 24.6. und dem Weihnachtsfest legt.

Die erstaunte Frage der Maria "Wie soll das geschehen?" wird im Neuen Testament nur ganz pauschal mit einem Hinweis auf den Heiligen Geist und die Kraft Gottes beantwortet. Die Evangelien halten nur fest, dass Maria zur Zeit der Geburt Jesu immer noch die Verlobte des Josef ist und noch nicht seine Frau - dem folgt auch das apostolischen Glaubensbekenntnis mit der Zeile "geboren von der Jungfrau Maria". Auf gynäkologische Präzisierungen sollte man ebenso verzichten wie auf böswillige Unterstellungen, die sich in antichristlicher Polemik finden. Eine alte kirchliche Tradition nimmt an, dass Maria ursprünglich aus religiösen Gründen gar nicht zu einer Ehe bereit war. Dazu würde Lukas 1,34 passen, wonach Maria sagt: "Ich habe keinen Mann im Sinn." In der damaligen Zeit beruhten Verlobungen häufig auf Beschlüssen der beteiligten Eltern.

Die Bedeutung von Weihnachten: Jesus kam in diese Welt

Die Bedeutung des Weihnachtsfestes hängt nicht ab von der Beantwortung dieser offenen Fragen, wann, wo und wie Jesus auf die Welt kam. Man feiert Geburtstage, um die Person zu feiern, um die es geht. Weil ohne sie die Welt ärmer wäre - oder gar verloren, so wie es ein Kirchenlied ausdrückt: "Welt ging verloren - Christ ist geboren."

Zur Geburt Christi gibt der Schriftsteller Heinrich Böll diesen Denkanstoß: "Selbst die allerschlechteste christliche Welt würde ich der besten heidnischen vorziehen, weil es in einer christlichen Welt Raum gibt für die, denen keine heidnische Welt je Raum gab: für Krüppel und Kranke, Alte und Schwache; und mehr noch gab es für sie: Liebe, für die, die der heidnischen wie der gottlosen Welt nutzlos erschienen und erscheinen... Ich glaube, dass eine Welt ohne Christus selbst die Atheisten zu Adventisten machen würde."


Klaus Haacker ist emeritierter Professor für Neues Testament und seine Umwelt an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal-Bethel