UN-Konvention gegen Entführungen tritt in Kraft
Verschleppt, ermordet, verscharrt: Staaten wollen nun gegen solche Verbrechen vorgehen. Die UN-Konvention gegen das Verschwindenlassen von Personen tritt am 23. Dezember in Kraft.
22.12.2010
Von Jan Dirk Herbermann

Die Peruanerin Lidia Flores weiß nicht, ob sie Witwe ist. Ihr Mann und Vater ihrer fünf Kinder ist seit 1984 verschwunden. An einem Juni-Abend hatte er für einen Spaziergang das Haus verlassen. Männer griffen ihn auf, verschleppten ihn. Staaten wollen nun gegen solche Verbrechen vorgehen: Am 23. Dezember tritt die "Internationale Konvention gegen das Verschwindenlassen von Personen" in Kraft.

"Ungewissheit ist für Angehörige wie Folter"

Wie Lidia Flores trauern weltweit Zehntausende um verschwundene Angehörige und quälen sich mit der Ungewissheit. Die Peruanerin hatte später einige Kilometer außerhalb ihrer Heimatstadt Ayacucho mehrere Leichen gefunden. Hunde machten sich über die Kadaver her. Lidia erkannte die Kleider ihres Mannes, sammelte die Knochen auf und bestattete sie. Doch sie erfuhr nie, ob es wirklich die sterblichen Überreste ihres Mannes waren.

Viele Familien in Peru leiden wie die Flores. Im Bürgerkrieg der 80er und 90er Jahre verschwanden laut Rotem Kreuz rund 15.000 Menschen - rekonstruieren ließen sich nur die Schicksale von etwa zehn Prozent. Seit Beginn der 80er Jahre zählen die UN weltweit weit mehr als 50.000 unaufgeklärte Verschleppungen - auf nahezu allen Erdteilen.

Die Konvention zu Verschwundenen soll eine Lücke im Völkerrecht schließen. "Das Verschwindenlassen ist eines der schlimmsten Verbrechen der Welt", betont die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay. "Die Ungewissheit ist für die Angehörigen wie Folter."

"Verbrechen gegen die Menschlichkeit"

Die neue Konvention erklärt das Verschwindenlassen zu einem "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Weder Krieg, Bürgerkrieg, Unruhen oder eine andere Extremsituation rechtfertigen danach Verschleppung, Folter, Mord und das Beseitigen von Leichen. Auch sollen in Zukunft Geheimgefängnisse geächtet sein. Die Staaten müssen die Täter bestrafen. Die Verschleppten und ihre Angehörigen haben einen Anspruch auf Entschädigung und Aufklärung.

Die ersten Rufe nach einer internationalen Konvention waren Anfang der 80er Jahre in Südamerika laut geworden. Dort entführten Militärregierungen ihre Gegner, viele wurden gefoltert, ermordet und verscharrt. Im Jahr 1983 formulierten Angehörige der Opfer erstmals einen Vorschlag für ein Abkommen.

Es dauerte bis Ende 2006, bis die UN-Vollversammlung die Übereinkunft guthieß. Frankreich und Argentinien unterzeichneten Anfang 2007 als erste Staaten die Konvention. In Argentinien hatte die Militärjunta zwischen 1976 bis 1983 fast 30.000 Menschen verschwinden lassen.

Bislang traten 20 Länder dem Abkommen bei, darunter Deutschland. Der Irak ratifizierte es am 23. November 2010 als 20. Staat. Damit war die Mindestzahl für das Inkrafttreten einen Monat später erfüllt. "Ich hoffe, dass alle UN-Mitgliedsstaaten diese Konvention so früh wie möglich unterzeichnen und ratifizieren werden", mahnt UN-Generalsekretär Ban Ki Moon.

USA, China und Russland verweigern Ratifizierung

Viele mächtige Staaten wie die USA, China und Russland machen aber keine Anstalten, dem Abkommen beizutreten. Und falls die amerikanische Regierung es unterzeichnen sollte, dürfte es mehrere Jahre dauern, bis der US-Senat die Konvention ratifiziert. Diplomaten erklären: Vor allem mit dem Verbot von Geheimgefängnissen können sich mächtige US-Senatoren nicht anfreunden.

Die US-Geheimdienste und US-Streitkräfte sperrten im Kampf gegen den Terror mutmaßliche islamische Fanatiker in Geheimgefängnisse - und folterten die Insassen. Menschenrechtler warnen auch davor, dass die Politiker nach einer Ratifikation die Hände in den Schoß legen. "Wir fordern alle Vertragsstaaten eindringlich auf, ihre nationalen Gesetze an die neue Konvention anzupassen", erklärt die Internationale Föderation für Menschenrechte.

Auch in Europa erfahren Menschen erst nach etlichen Jahren vom Schicksal ihrer Angehörigen. So fand der Spanier Emilio Silva nach langer Suche erst vor gut zehn Jahren in einem Straßengraben ein Massengrab, in dem sich die sterblichen Überreste seines Großvaters befanden. Sein Opa gleichen Namens war 1936 im Bürgerkrieg in die Hände der Anhänger des Diktators Francisco Franco gefallen - seitdem wurde er vermisst.

epd