Es ist schon dunkel an diesem ungemütlichen Wintertag kurz vor Weihnachten. Heike Bechlem ist genervt, als sie mit Nils endlich im Kinderhospiz "Löwenherz" in Syke ankommt. Sie hatte sich total verfahren. Außerdem war die alleinerziehende Mutter schon vorher skeptisch gewesen: Weihnachten im Kinderhospiz - die verrückte Idee einer Freundin für sie und ihren schwer kranken Sohn.
Im Hospiz umfängt sie eine freundlich warme, offene Atmosphäre. Mitarbeiter begrüßen sie herzlich. Auf Nils' Gesicht breitet sich ein Lächeln aus. "Da wusste ich: Hier gehören wir hin", sagt Heike Bechlem heute, fünf Jahre später. Seitdem fahren sie und Nils jedes Jahr zu Weihnachten ins Kinderhospiz.
Seit fünf Jahren an Weihnachten geöffnet
"Löwenherz" gibt es seit 2003. Es ist das einzige Kinderhospiz in Niedersachsen und Bremen. Familien können mit ihren unheilbar kranken Kindern bis zu vier Wochen im Jahr dort verbringen. Sie werden in der Pflege entlastet. Es gibt spezielle Angebote für Eltern und Geschwisterkinder. Manche kommen, um ihre Kinder dort im Sterben zu begleiten.
2005 hatte "Löwenherz" erstmals an Weihnachten geöffnet. "Seitdem sind jedes Jahr alle acht Pflegeplätze belegt", sagt Leiterin Gaby Letzing. Sie und ihre Mitarbeiter haben viel Zeit für Gespräche und Spaziergänge. "Es ist ein Innehalten für die Eltern und für uns - oft auch in dem Bewusstsein, dass es vielleicht das letzte Weihnachtsfest für ihre Kinder ist."
Und auch die verstorbenen Kinder haben an jedem Weihnachtsfest ihren Platz. In einem gemeinsamen Ritual legen die Besucher und Mitarbeiter einen Tannenzweig an den Erinnerungsplatz für die toten Kinder im Garten.
In der Gruppe sein oder still für sich
Zur Bescherung an Heiligabend können sich Familien in verschiedene Räume zurückziehen. Wer möchte, feiert in der großen Gruppe. Zuvor versammeln sich am Nachmittag alle zu einer Andacht mit Liedern und der Weihnachtsgeschichte. Später gibt es Kartoffelsalat mit Würstchen und am ersten Feiertag ein festliches Essen in großer Runde. "Es ist hier aber nicht alles mit weihnachtlicher Stimmung überladen. Ich genieße einfach die Gemeinschaft und die friedliche Atmosphäre", sagt Heike Bechlem und tätschelt versonnen Nils' Wange.
Nils ist 17. Er leidet seit seinem fünften Lebensjahr an einer Krankheit, die Teile seines Gehirns und der Nervenbahnen unaufhaltsam zerstört. Mittlerweile sitzt er nahezu bewegungsunfähig im Rollstuhl. Er sieht nur noch Schatten, wird über eine Magensonde ernährt. Er kann nicht sprechen. Auch das Lächeln funktioniert mittlerweile nicht mehr. "Ich sehe an seinen Augen, wie er sich fühlt", sagt seine Mutter und streichelt seinen Arm: "Nicht wahr, Nils, wir verstehen uns."
"Löwenherz" als Großfamilie
Früher, als Nils noch gesund war, hat Heike Bechlem Weihnachten am liebsten mit der Großfamilie verbracht: Omas, Opas, Eltern, Schwiegereltern. "Am Schönsten war es, wenn ich für sie alle gekocht und alles weihnachtlich geschmückt habe", sagt die 47-Jährige. Jetzt ist sie froh, wenn sie sich an Weihnachten mal nicht um die aufwendige Pflege und medizinische Versorgung des Jungen kümmern muss. Das machen die ausgebildeten Pfleger und Therapeuten. Im Alltag muss sie dafür sogar nachts oft aufstehen. Wenn Nils vormittags mit Hilfe eines Pflegedienstes in der Schule ist, geht die Bankkauffrau arbeiten.
Ihre Großfamilie an Weihnachten ist jetzt "Löwenherz": die Mitarbeiter, die anderen Eltern und Kinder. "Wir sind hier willkommen. Jemand freut sich auf uns. Ich bin nicht so allein." Heike Bechlem genießt es, mit anderen zusammen zu sitzen, gemeinsam festlich zu essen, sich zu unterhalten, fröhlich zu sein.
Sie weiß, sie kann auch offen über Krankheit, Sterben und den Tod reden. Zum Beispiel wie es sein wird, wenn Nils mal nicht mehr da ist. Sie darf traurig sein. "Aber ich muss es nicht, es wird nicht von mir erwartet. Ich darf auch lachen." Und Heike Bechlem lacht gern. "Hier kann ich kann das machen, was sich für mich gut anfühlt."