Kirchen erweisen sich als wichtige Kulturträger
Die Kulturhauptstadt 2010 im Ruhrgebiet ist zu Ende. Auch die Kirchen haben sich mit vielen Aktionen beteiligt. Sie haben sich als wichtige Kulturträger erwiesen.
21.12.2010
Von Bettina von Clausewitz

Tradition und Moderne, alte Schätze und gewagte Experimente: Im Kulturhauptstadtjahr RUHR.2010 präsentierten sich die Kirchen im Ruhrgebiet ausgiebig mit beidem. Beispiel Reformationsfest Ende Oktober: Den Auftakt bildete eine Komposition für neun chromglänzende Harley-Davidson-Motorräder mit Trompete und Synthesizer auf dem Vorplatz der Essener Philharmonie. Ein akustisches Spektakel mit unterschiedlicher Resonanz. "Nichts als Krach und Luftverschmutzung", sagten naserümpfend die einen. "Klasse! Musik von der Straße, so wie Luthers Lieder ja auch auf der Straße gesungen wurden", sagten begeistert die anderen.

Beim Hauptprogramm im Konzertsaal ging es dann mit Kirchenmusik aus fünf Jahrhunderten weiter, einer der Höhepunkte des evangelischen Kulturhauptstadt-Programms. "Wir wollten im Jahr 2010 mit profilierten Beiträgen dabei sein und im Jahr 2011 besser dastehen als vorher", sagt der Geschäftsführer des Evangelischen Kulturbüros, Andreas Volke. "Das ist uns gelungen."

"Pilgern im Pott"

Der Essener Pfarrer, der für die rheinische und die westfälische evangelische Landeskirche als Koordinator für das eigens zur Kulturhauptstadt gegründete Büro tätig war, hat zahlreiche Beispiele in punkto Nachhaltigkeit parat: eine neue Route "Pilgern im Pott", touristische Kirchenfahrten "Church Tours Ruhr", die neue Autobahnkirche in Bochum, Kontakte zu Sponsoren und neue Netzwerke in den beiden Landeskirchen mit ihren 22 evangelischen Kirchenkreisen allein im Ruhrgebiet. Ein neues Wir-Gefühl in der Metropole Ruhr.

Etwa ein Drittel der kirchlichen Großprojekte trug das offizielle Kulturhauptstadtlogo: die ökumenische Orgellandschaft Ruhr mit 480 Konzerten, das Gefängnisprojekt "Schattenkultur" in Moers, die Nacht der Religionen "Prayer Night" oder die Ausstellung mittelalterlicher Handschriften "Musica enchiriadis" in der Domschatzkammer. Neben den gemeinsamen Prestigeprojekten der beiden großen Kirchen gab es zahlreiche Veranstaltungen in Gemeinden und Einrichtungen. Die Ausstellung "Kunst tro(t)zt Armut" der Evangelischen Obdachlosenhilfe etwa oder ein bundesweites katholisches Pfadfindertreffen. "Die Kirche als Kulturträger hat sich ihren Platz im öffentlich Raum zurückerobert", bilanziert Volke.

Ähnlich argumentiert auch der Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Alfred Buß. "Es ist deutlich geworden: Wenn die Kirchen nicht mitmachen, fehlt etwas", sagte Buß schon am 18. Juli bei Highlight des Jahres im Kulturhauptstadt-Jahr, der Sperrung der Autobahn A40 für das "Still-Leben Ruhrschnellweg". Die Kirchen waren dort etwa mit einem zentralen "Tisch der Religionen" vertreten. Judentum und Islam gehören dazu, betont Buß, der mitten im sommerlichen Volksfesttrubel Religionsfreiheit und Toleranz anmahnte.

Wachsendes Selbstbewusstsein

Michael Schlagheck, verantwortlicher Organisator des Bistums Essen, zeigte Nachdenklichkeit: "Ruhr 2010 ist kein Festival-Event, sondern eine Gelegenheit Fragen zu stellen, wie Menschen ihr Leben deuten und gestalten." In diesem Sinne nutzten die Kirchen das Jahr auch zu Reflexion und Rückblick. Haben sie doch eine mehr als tausendjährige Geschichte aufzuweisen, während das Ruhrgebiet, in dem Kirchtürme und Fördertürme dicht beieinander stehen, nur 150 Jahre zählt. "Wenn man mal auf eine Halde klettert, ist deutlich zu sehen, dass die 1.250 Kirchtürme die Lufthoheit gegenüber den rund 300 alten Fördertürmen haben", rechnet Volke vor.

Auch Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck spielt vor der Presse gern die historische Karte. "Unsere Geschichte beginnt nicht erst im 19. Jahrhundert, sondern schon im 9. Jahrhundert", sagt er. Wachsendes Selbstbewusstsein und ein neue Identität von Kirche als zentraler Kulturträgerin, das sind die Eckpunkte in der Bilanz beider Konfessionen - Balsam angesichts sinkender Mitgliederzahlen und gesellschaftlicher Anerkennung.

Diese Rolle wurde den Kirchen trotz mancher Querelen im Hintergrund auch von der RUHR.2010 GmbH zugeschrieben. "Die Kirchen haben ihre Rolle selbstbewusst, aber keineswegs selbstherrlich wahr genommen", lobt Geschäftsführer Fritz Pleitgen, der ihre Projekte als "starke Streben im gesamten Netzwerk" bezeichnet. Als "segensreichen Einfall" sieht Pleitgen besonders das Kulturhauptstadtkreuz: ein farbiges Titankreuz aus der Abtei Königsmünster, das jede Woche in eine andere der 52 Local-Hero-Städte wanderte. "Wir waren heilfroh, dass die Verbindung der Städte in der Metropole Ruhr über dieses Kreuz symbolisiert wurde, das fehlte uns noch", meint Pleitgen. Die Kirchen hören?s gerne.

epd