Besonders dramatisch ist demnach die Situation in den Diözesen Augsburg, Rottenburg-Stuttgart und Trier. Dagegen verzeichnen die evangelischen Kirchen nach Recherchen der "Süddeutschen Zeitung" vermehrt Eintritte, vor allem in Süddeutschland.
Der Limburger katholische Bischof Franz-Peter Tebartz van Elst forderte eine "anhaltende Wachsamkeit" beim Thema des sexuellen Missbrauchs. Das sei "noch nicht vorbei", sagte er am Samstag im "Interview der Woche" des Deutschlandfunks.
Flächendeckendes Phänomen
Im Bistum Augsburg kehrten dem Bericht der "Frankfurter Rundschau" zufolge bis Mitte Dezember 11.351 Katholiken der Kirche den Rücken, im ganzen Jahr 2009 waren es lediglich 6.953. In dieser Diözese war es zu besonders harten Konflikten im Zusammenhang mit Vorwürfen gegen den damaligen Bischof Walter Mixa gekommen. Im Bistum Rottenburg-Stuttgart traten bis Mitte November 17.169 Menschen aus der Kirche aus, 2009 waren es 10.619. Im Bistum Trier verließen bis Ende November 7.029 Katholiken ihre Kirche, im ganzen Jahr 2009 waren es 4.583.
In allen Bistümern, die die Zeitung befragte und die Zahlen nannten, nahmen die Kirchenaustritte in diesem Jahr zu. Wie die Umfrage zeigte, entschieden sich die Menschen vor allem in den Monaten März, April und Mai zum Verlassen der Kirche, als sich das Ausmaß des Missbrauchsskandals zeigte. Offizielle Zahlen werden erst in einigen Monaten vorliegen.
Zulauf bei den Protestanten im Süden
In evangelischen Landeskirchen stiegen dagegen die Eintrittszahlen, und zwar besonders im mehr von Katholiken bevölkerten Süden: In Bayern traten laut "Süddeutscher Zeitung" bis November bereits mehr als 5.000 Menschen der lutherischen Landeskirche bei; in den Vorjahren pendelte die Zahl um 3.500. "So 200 dürften noch dazukommen", sagte Kirchen-Sprecher Johannes Minkus.
In Baden wuchs die Eintrittszahl der evangelischen Landeskirche dem Bericht zufolge insgesamt um 20 Prozent. Oberkirchenrätin Karen Hinrichs nannte als Gründe sowohl die Popularität der früheren EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann als auch "das Bekanntwerden der vielen Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche". Die Eintritte (1.660) konnten die Austritte (5.910) allerdings nicht aufwiegen, wie der Meldung der Landeskirche zu entnehmen ist. In der Stuttgarter Eintrittstelle ging die Zahl der katholischen Übertritte von 19 (2009) auf 57 in diesem Jahr hoch. Der Trend dürfte auf die gesamte Landeskirche übertragbar sein, so ein Kirchensprecher.
Vermehrte Austritte meldeten hingegen noch weitere katholische Bistümer. Würzburg verzeichnete bis Oktober 5.484 Austritte gegenüber 3.788 im Jahr 2009. Auch die Erzbistümer Berlin - mit dem ersten große Skandal am Jesuiten-Gymnasium Canisius-Kolleg - und Hamburg verloren deutlich mehr Kirchenmitglieder. Das Erzbistum Köln hingegen, wo es einen Missbrauchsskandal am Aloisius-Kolleg in Bonn gab, nannte keine Zahlen.
"Schutzschirm" angemahnt - neuer Verdachtsfall in Berlin
Die Bewegung "Wir sind Kirche" warf den Bischöfen vor, die Krise auszusitzen. Notwendig sei ein offener Dialog über strittige Themen der Kirche, dies werde aber 2011, im Jahr des Papstbesuchs in Deutschland, kaum möglich sein, sagte Sprecher Christian Weisner der "Frankfurter Rundschau". Die Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Karin Kortmann, forderte die Einbeziehung von Laien in die Verantwortung.
Bischof Tebartz van Elst sagte, Gespräche mit Opfern hätten ihm erneut die Augen dafür geöffnet, wie wichtig die Prävention sei. Er habe in seinem Bistum daher zusätzlich zum Missbrauchsbeauftragten einen Präventionsbeauftragten ernannt, der die vorbeugende Arbeit nachhaltig betreiben solle. Die Kirche müsse gemeinsam mit Eltern einen "Schutzschirm" aufbauen, so der Bischof.
In Berlin steht erneut ein katholischer Priester unter Verdacht, Minderjährige sexuell missbraucht zu haben. Wie das Erzbistum am Sonntag mitteilte, bezieht sich der Verdacht auf Ereignisse in den 90er Jahren. Über den Vorwurf, der über die Hotline der Deutschen Bischofskonferenz erhoben worden sei, habe das Erzbistum auch die Strafverfolgungsbehörden informiert. Erzbischof Georg Sterzinsky habe zudem eine Untersuchungskommission eingesetzt und eine Voruntersuchung angeordnet. Der Pfarrer sei bisweilen von seinen Aufgaben entbunden.