Neunter deutscher Soldat tot - Merkel spricht von "Krieg"
Die Bundeswehr hat ihren neunten Toten in Afghanistan in diesem Jahr zu beklagen: Kurz vor Merkels Truppenbesuch starb ein junger Hauptgefreiter bei einem Unfall. Die Kanzlerin sprach vor den Soldaten in Kundus von "Krieg" am Hindukusch.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat bei einem überraschenden Truppenbesuch in Kundus so deutlich wie noch nie von einem "Krieg" in Afghanistan gesprochen. "Wir haben hier nicht nur kriegsähnliche Zustände, sondern Sie sind in Kämpfe verwickelt, wie man sie im Krieg hat", sagte Merkel am Samstag vor mehreren hundert Soldaten im Feldlager der Bundeswehr. "Das ist für uns eine völlig neue Erfahrung. Wir haben das sonst von unseren Eltern gehört im Zweiten Weltkrieg." Das sei aber eine andere Situation gewesen, weil Deutschland damals der Angreifer war.

"Tragischer Unfall"

Der Blitzbesuch Merkels wird vom Tod eines deutschen Soldaten überschattet, der kurz vor dem Eintreffen der Bundeskanzlerin am Freitag in der nordafghanischen Provinz Baghlan starb. Vor ihrer Ansprache erhoben sich die Kanzlerin und die Soldaten, um in einer Schweigeminute des Toten zu gedenken. Der 21-Jährige Hauptgefreite starb nach Merkels Worten bei einem "tragischen Unfall".

"Der Grund, warum ich auch hier bin, ist Ihnen Dankeschön zu sagen", betonte Merkel vor den Soldaten. "Wir wissen, dass das eine extrem gefährliche Sache ist und sich viele noch lange nach dem Einsatz damit rumplagen, was sie hier erlebt haben." Das militärische Engagement am Hindukusch diene auch der Sicherheit Deutschlands. "Ohne Sie könnten wir nicht so sicher leben, und das müssen wir den Menschen auch sagen". Zur ablehnenden Haltung vieler Bundesbürger zum Einsatz sagte die Kanzlerin: "Die Bevölkerung sieht diesen Einsatz zum Teil skeptisch, und trotzdem ist sie stolz auf Sie."

Zuvor war Merkel begleitet von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und dem Generalinspekteur der Bundeswehr, Volker Wieker, zum Ehrenhain im Feldlager gegangen. Dort wird der Toten des Einsatzes gedacht. Merkel sprach anschließend mit Soldaten, die an der Offensive im vergangenen Monat im Unruhedistrikt Char Darah beteiligt waren. In schweren Gefechten, die vier Tage andauerten, waren die Taliban dabei aus dem Süden des Distrikts vertrieben worden. Die Kanzlerin sagte zur Schilderung der Kämpfe: "Das ist etwas, was wir bisher nur aus Kriegsbüchern kannten."

Dritter Besuch in Afghanistan

Es ist Merkels dritter Besuch in Afghanistan nach 2007 und 2009. Sie wollte sich persönlich ein Bild von dem Einsatz machen und selbst mit den Soldaten über ihre gefährliche Mission sprechen. 2010 kamen acht deutsche Soldaten bei Anschlägen und Gefechten in Afghanistan ums Leben - mehr als in je zuvor. Mit dem jüngsten Unfallopfer kostete der Einsatz am Hindukusch bisher 45 deutsche Soldaten das Leben. Von ihnen starben 27 bei Anschlägen und Gefechten.

Im Januar entscheidet der Bundestag über die erneute Verlängerung des Mandats für den Afghanistan-Einsatz. Es erlaubt die Stationierung von bis zu 5350 Soldaten. Derzeit sind rund 4700 dort. Die schwarz-gelbe Koalition ist um breite Unterstützung im Parlament bemüht. Bei SPD und Grünen, in deren Regierungszeit der Einsatz Ende 2001 beschlossen wurde, werden die Zweifel immer größer. Die Linke hat bisher in allen Abstimmungen die Zustimmung verweigert. Die Mehrheit der Deutschen lehnt die Mission laut Umfragen ab.

Die SPD forderte Merkel dazu auf, den Soldaten in Afghanistan zu erklären, dass der anvisierte Terminplan für den Abzug verbindlich sei. Der sagte der verteidigungspolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Rainer Arnold, der "Leipziger Volkszeitung" (Samstag). Außenminister Guido Westerwelle hatte am Donnerstag im Bundestag in Aussicht gestellt, mit dem schrittweisen Abzug der Truppen - wie ursprünglich einmal geplant - Ende 2011 zu beginnen. Damit ging er einen Schritt auf die SPD zu, die dies fordert. Guttenberg hatte dagegen davor gewarnt, sich auf ein konkretes Datum festzulegen.

Abzugstermin weiter offen

Der Sprecher der Internationalen Schutztruppe Isaf, Josef Blotz, sagte, der Abzugsprozess müsse sich an den Bedingungen in Afghanistan und nicht an einem "theoretischen und unflexiblen Zeitplan" orientieren. "Wenn Sie als Feuerwehr einen Brand in einem Hochhaus bekämpfen, dann sagen Sie ja auch nicht, um 19 Uhr ist Feierabend, egal, ob es dann noch brennt", sagte der Bundeswehr-General der Nachrichtenagentur dpa. "Und selbst wenn das Feuer gelöscht ist, dann lassen Sie eine Brandwache da, damit es nicht wieder entflammt."

Die Bundesregierung hatte am Montag einen "Fortschrittsbericht" vorgelegt und darin den Abzugstermin offen gelassen. Ziel der Regierung ist, 2014 die Verantwortung für die Sicherheit an die afghanische Polizei und Armee abzugeben. Das ist auch der erklärte Wille des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai. Kritiker bezweifeln, dass Afghanistan bereits in vier Jahren in der Lage ist, selbst für seine Sicherheit zu sorgen.

Guttenberg war erst am Montag in den deutschen Feldlagern im nordafghanischen Kundus und Masar-i-Scharif gewesen. Er hatte seine Frau Stephanie und den Fernsehmoderator Johannes B. Kerner mitgenommen, was ihm von Opposition im Bundestag den Vorwurf der Selbstinszenierung eingetragen hatte. Es ist nun der achte Aufenthalt Guttenbergs seit seinem Amtsantritt als Minister im Herbst 2009.

dpa